Horst W. Opaschowski hat sein neues Buch vorgelegt: 'Wir! – Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben'. Darin skizziert er eine Wirtschaftswelt, in der Arbeitnehmer Bürger des Unternehmens sind und die Konzerne ebenso am sozialen wie am monetären Ertrag gemessen werden. managerSeminare sprach mit dem renommierten Zukunftsforscher über die Grundzüge und Hintergründe der sozialen Ökonomie von morgen.
Herr Professor Opaschowski, in Ihrem Buch prophezeien Sie das Ende der Ichlinge. Auch in den Unternehmen und den Unternehmensführungen. Der Einzelne tritt zurück, das Kollektiv rückt in den Vordergrund. Bedeutet das nicht auch, dass die Unternehmen langsamer werden? Kollektive neigen bekanntlich zur Trägheit, dagegen sind es meist gute Ideen Einzelner und deren Umsetzungsstärke, die Firmen nach vorne bringen.Prof. Dr. Horst W. Opaschowski: In keinem anderen Bereich der Gesellschaft wird der Mythos vom Individuum so unkritisch gehegt und gepflegt wie in der Wirtschaft. Kreativität und Innovation werden fast ausschließlich auf individualistische Leistungen zurückgeführt, obwohl sie vielfach von Teams und Forschungslaboren erdacht, erfunden und entwickelt wurden. Kollektive Strukturen entscheiden in der Regel effizienter, setzen ihre Entscheidungen schneller um und sind sogar kreativer als das Individuum. Die Unternehmen werden also nicht langsamer, sondern schneller werden.
Wie müssen wir uns die Strukturen in einem Unternehmen ohne die von Ihnen so genannten Ichlinge, also Personen, die vor allem im Eigeninteresse handeln, vorstellen?Opaschowski: Nicht mehr einzelne Führungskräfte spielen die erste Geige, sondern alle geben den Ton an. Die Arbeitnehmer werden den Untertanenstatus abwerfen und zum Unternehmer im Unternehmen werden. Das ist unvermeidlich, weil notwendig. Vor allem die wissensbasierten Firmen sind jetzt schon auf innovationsfreudige Mitarbeiter angewiesen – auf 'Intrapreneure', die die Unternehmensziele auch zu ihren eigenen machen und unternehmerisch, eigenständig, aber miteinander arbeiten. Zum Beispiel in der Art, dass sie sich zur Lösung bestimmter Aufgaben immer wieder selbstständig in Arbeitsgruppen neu zusammenfinden. Man könnte es so ausdrücken: Aus dem traditionellen Arbeitnehmer wird ein Bürger im Betrieb mit Bürgerrechten und Bürgerverantwortung.
Und das Unternehmen wäre dann das Gemeinwesen.Opaschowski: Genau. Wir werden Bürgerunternehmen haben, die Arbeitnehmerschaft ist die Bürgerschaft. Die ist idealerweise durch Aktienbesitz am Gemeinwesen beteiligt.
Die Zeichen deuten derzeit in die genau gegenteilige Richtung. Fast jeder zweite neue Arbeitsvertrag wird nur noch befristet abgeschlossen, lockere Beschäftigungsverhältnisse breiten sich aus. Wie geht das mit Ihrer Theorie von Arbeit als Bürgertum zusammen?Opaschowski: Das ist eine Entwicklung, die ich bereits in den 1990er Jahren in meinem Buch 'Feierabend' vorausgesagt habe. Häufige Job- und Berufswechsel werden die Arbeitswelt zunehmend prägen. Das bedeutet mehr Unsicherheit, gleichzeitig aber auch mehr Verantwortung, mehr Freiheit, mehr Selbstständigkeit. Und das sind genau die Attribute, die Bürgerschaft im Kern ausmachen.
Welche Rolle wird die Führungskraft im Bürgerunternehmen spielen?Opaschowski: Die Führungskraft wird sich vom Vorgesetzten zum Coach, vom Moderator zum Motivator, vom Kontrolleur zum Animateur wandeln, der die Mitarbeiter durch seine eigene Person motivieren kann und für Betriebsklima und Stimmungslage verantwortlich ist. Eine seiner wesentlichen Aufgaben wird es sein, die Arbeitsfreude der Mitarbeiter zu fördern oder zumindest ihnen den Spaß an der Arbeit nicht zu verderben. Die Fähigkeit, zu motivieren und zu begeistern, wird zu einer sozialen Führungskompetenz von höchster Priorität.
Was werden die zentralen Hebel der Motivation sein?Opaschowski: Materielle Vergütung als Sicherung des Lebensunterhalts bleibt natürlich wichtig. Gerade im Hinblick auf die derzeit offenen Fragen der sozialen Sicherung muss über neue Geldanreize gesprochen werden, zum Beispiel durch – ich habe es bereits angesprochen – Mitarbeiterbeteiligungen am Vermögen des Unternehmens. Der Arbeitnehmer, der am Firmenkapital beteiligt ist und darüber mitbestimmen kann, könnte ein Leitbild für die Zukunft werden.
Also bleibt doch das Geld die alles treibende Kraft? Sie haben doch eben noch von Spaß und Begeisterungsfähigkeit gesprochen.Opaschowski: Das Geldkultur ist eine der treibenden Kräfte, wird aber ergänzt von zwei weiteren Kulturen. Erstens der Zeitkultur: Die Menschen wollen nicht mehr nur wissen, wovon sie leben, sondern auch Antworten darauf haben, wofür sie leben. Gerade für Führungskräfte gilt jetzt schon und wird in Zukunft noch viel stärker gelten, dass ihnen mehr Geld allein wertlos erscheint, wenn nicht gleichzeitig auch mehr Zeit ausgezahlt wird. Beschäftigte von morgen wollen mit Zeitoptionen leben – mit der Flexibilisierung der Arbeitszeiten ebenso wie mit der Flexibilisierung von Läden, Praxen, von Freizeit-, Kultur- und Bildungseinrichtungen.
Die zweite Kultur ...Opaschowski: … ist die Sinn-Arbeit. Mehr Gewinn durch mehr Sinn. Gegen innere Kündigung wird innere Befriedigung gesetzt. Mitarbeiter wollen stolz auf sich und ihre Arbeit sein, sich nicht nur für die Produkt-Qualität, sondern auch für die Ethik-Qualität des Produzenten verantwortlich fühlen. Die künftige Leistungsmotivation der Mitarbeiter wird sich zu einem erheblichen Teil aus dem Faktor Sinn speisen. Die Honorierung mit mehr Sinn kann genauso wichtig werden wie die Honorierung mit mehr Geld.
An welche Art von Sinn denken Sie?Opaschowski: Der soziale Kompass ist es, der Unternehmen Sinn verleihen wird. Bisher dominierte die vermeintliche moralische Überlegenheit der Marktwerte gegenüber kulturellen Werten, die eher abqualifiziert wurden. Geld und Geldeinkommen galten geradezu als Maßstab für den Wert eines Menschen oder einer Institution, als Beweis für gesellschaftliche Nützlichkeit. Da sich demgegenüber Dienste für die Familie oder für die Gemeinschaft nur selten in Geldeinheiten ausdrücken lassen, haben sie traditionell einen geringeren gesellschaftlichen Wert. Das wird sich ändern. Der soziale Faktor wird bilanziert. Das funktioniert auch schon heute. Das soziale Engagement der Deutschen erwirtschaftet zum Beispiel jährlich einen ökonomischen Nutzwert, der der Jahresarbeitskraft von über drei Millionen Vollzeitbeschäftigten entspricht.
In Ihrem Buch sprechen Sie von einer sozialen Ökonomie.Opaschowski: Damit meine ich genau das: Das Soziale hört auf, nur als der unproduktive, also der die Kosten verursachende Bereich zu gelten. Es gibt in Zukunft eine doppelte Produktivität – eine Produktivität des Ökonomischen und eine Produktivität des Sozialen.
Wann ist es so weit?Opaschowski: Die ersten Schritte sind gemacht, über wertorientierte Unternehmensführung wird seit einiger Zeit viel geredet und geschrieben. Erste Universitäten legen in der Lehre mittlerweile viel Wert auf wertebewusste Unternehmensführung. Wenn ein wertebewussterer Nachwuchs an den neuralgischen Punkten in den Unternehmen angekommen ist, dann könnte der Tag gekommen sein, an dem der soziale Ertrag eines Unternehmens gleichwertig neben dem ökonomischen Gewinn steht. Ein, zwei Generationen wird es also noch dauern.
LiteraturtippHorst W. Opaschowski: Wir! Warum Ichlinge keine Zukunft mehr haben. Murmann, Hamburg 2010, 19,90 Euro.
Fundament des Buches ist eine Studie der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, in der 2.000 Personen zu ihren Werteorientierungen und Lebensgewohnheiten befragt wurden. Opaschowski hat die Antworten weitergedacht, sie mit aktuellem ökonomischem, politischem und sozialem Gedankengut und Entwicklungen verwoben und aus all dem ein komplexes Bild der Gesellschaft von morgen gestrickt. Das zentrale Motiv, das sich laut dem Zukunftswissenschaftler durch alle gesellschaftlichen Bereiche ziehen wird: Egoistische Interessen treten zugunsten eines neuen Wir-Bewusstseins und sozialen Gewissens in den Hintergrund.