Senge, Sprenger, Maturana... - die Referentenliste des 1. Weltkongresses für systemisches Management las sich wie das Who is Who der Managementexperten. Trotz der großen Namen waren jedoch nicht alle Besucher zufrieden. Eindrücke gesammelt hat Sibylle Nagler-Springmann.
Es gibt drei Gründe, weswegen ein Kongress von Nutzen sein kann: 1. Man bekommt neue Inhalte und Anregungen für seine Arbeit. 2. Man fühlt sich bestätigt in dem, was man schon weiß und längst umsetzt. 3. Man sieht oder spricht Leute, deren Veröffentlichungen man gelesen hat und kann Papier- und Realexistenz miteinander vergleichen. Der 1. Weltkongress für systemisches Management hat alle drei Gründe erfüllt - je nach Vorkenntnis der Besucher.
Zusammengekommen waren im Kongresszentrum in Wien Anfang Mai rund 1.200 Manager, Organsationsberater, Managementtrainer - ein Großteil davon weiblich -, um den Grundstein für eine weltweite Vernetzung der systemisch arbeitenden Experten und Praktiker zu legen. Weiteres Ziel der Großveranstaltung war es, sich über neue Formen des Managements im Umgang mit Komplexität und Unvorhersehbarkeit auszutauschen. Für zahlreiche Teilnehmer ging es aber auch darum, sich klar zu machen, was systemisches Management überhaupt ist.
Das Ganze betrachten
'Wir haben gelernt, Informationen in winzige Bits herunterzubrechen', erklärte Stafford Beer, Begründer der Management-Kybernetik und internationaler Politikberater, die geringe Verbreitung des systemischen Denkens. Die Wissenschaft funktioniere seit 200 Jahren so. 'Auch Manager denken in reduzierenden, vereinfachenden Begriffen', sagte der 74jährige Philosoph und Mathematiker. Mit fatalen Folgen für die Unternehmen: Wenn Mitarbeiter unter dem Aspekt von fraktionierten Fertigkeiten und Einzelhandlungen betrachtet werden, gehen wesentliche Informationen und Erkenntnisse verloren. Das systemische Management hingegen schaut auf das Ganze der Strukturen und Beziehungen in einer Organisation. 'Die Menschen wollen nicht als Arbeitsmaschinen gesehen werden, sondern als Einheit von privatem Individuum und Berufsmensch, sonst fühlen sie sich fremd und leblos', betonte Diana Whitney, Präsidentin der US-Corporation for Positive Change.
'Organisationen dürfen nicht länger wie triviale Maschinen betrachtet werden, deren Funktionieren von den Einzelteilen - sprich Mitarbeitern - abhängt', sagte auch Sonja Radatz. Die Psychologin hatte mit ihrem Institut für systemisches Coaching und Training den Weltkongress ins Leben gerufen und organisiert. Verbreitet sei die Ansicht, man müsse den Mitarbeitern nur ein paar gute Trainings verpassen, und schon käme Leistung heraus. Letztlich sei jedoch weder die Entwicklung von Menschen noch von Organisationen vorhersehbar und schon gar nicht kontrollierbar. 'Manager müssen daher bereit sein, Fehler zu machen und sich in Frage stellen', forderte Radatz.
Wieso Struktur und Kultur zusammenhängen
Management-Visionär und Kultautor Peter Senge vom Massachusetts Institute of Technology erläuterte auf dem Kongress seine Erkenntnisse von einer Verbindung von zwei Traditionen im Systemdenken: Plan und Zufall im Management. Während der Gestaltungsansatz (Plan) davon ausgeht, die Organisation mit Hilfe von Strukturen und Regeln gestalten zu können, so berücksichtigt der Entstehungsansatz (Zufall), dass die Struktur, die das Verhalten in einer Organisation bestimmt, nur von den Menschen selbst inszeniert werden kann. So machte Senge deutlich, wie Entscheidungen und Veränderungen in Unternehmen tatsächlich entstehen: unabhängig von formellen Strukturen und expliziten Regeln, auf Grund von informellen Regeln und gewachsenen Strukturen. Dies anzuerkennen und zu integrieren ist seiner Ansicht nach eine Herausforderung an das Management. 'Ein struktureller Wandel ist daher immer ein Kulturwandel', betonte er.
Bekanntheiten wie Humberto Maturana, Gunther Schmidt oder Helmut Willke waren weitere Zugpferde des fünftägigen Kongresses mit an die 100 verschiedenen Vorträgen und Workshops zu Themen wie 'Lösungsorientiertes Life-Management' oder 'Leadership-Entwicklung aus systemischer Sicht'. Die kurzen und wenigen Pausen reichten kaum für das Anstehen an der Getränkeschlange, schon gar nicht aber für vertiefende Gespräche oder Networking.
Für Teilnehmer, die noch nie etwas von Lösungsorientierung oder Open Space gehört hatten, bot der Kongress neue Anregungen und Aha-Erlebnisse. Für diejenigen, die seit Jahren systemisch arbeiten, dürften es eher alte Hüte gewesen sein, die jedoch zusammengebracht zu neuen Erkenntnissen führten. 'Für mich war interessant, zu erleben, wo überall Systemtheorie praktische Anwendung findet, beispielsweise bei Fusionen oder im Wissensmanagement', sagte der Wiesbadener Organisationsberater Hans Scholten. Anderen wiederum hat der Kongress Bestätigung für ihre bisherige Arbeit gebracht. Positiv überrascht war z.B. Peter Rathsmann von Neulands Add Venture, dass dem Faktor Emotionalität so große Bedeutung beigemessen wurde.
Nicht ganz so zufrieden zeigte sich Fritz B. Simon: 'Auf dem Kongress waren mir zu viele Personen aus dem therapeutischen Kontext, die Organisationen nur als eine Ansammlung von Individuen zu betrachten scheinen,' meinte der Organisationsforscher. Gewünscht hätte er sich mehr Austausch über das Funktionieren und die Logik von Organisationen sowie über wirksame Interventionsstrategien. Entscheidend, so Simon, sei die Frage, wie man in Organisationen die 'selbstgemachten Lernbehinderungen' aufbricht, damit die Mitarbeiter ihr implizites Wissen nutzen. Mit erfrischend praktischen Denkansätzen zu Fragestellungen dieser Art - genauer zum Thema Motivation - begeisterte übrigens der Essener Berater Reinhard Sprenger einen überfüllten Hörsaal.