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Tabuthema Unzufriedenheit

Aktion für mehr Sinn in der Arbeitswelt

Vier Mal war sie in den vergangenen Monaten jeweils für einen Tag geöffnet: Die Rede ist von der 'Meldestelle für verlorenen Sinn & Antrieb bei der Arbeit' – eine Art mobiler Kummerkasten für die Nöte in der Arbeitswelt. Im Interview erklärt Mitinitiator Björn Müller, was es mit der Aktion in der Zürcher Innenstadt auf sich hatte.

managerSeminare: Herr Müller, war Ihre 'Meldestelle für verlorenen Sinn und Antrieb bei der Arbeit' Spaßkunst oder Ernst?

Björn Müller: Die Aktion enthält schon einen Schuss Humor. Der ist wichtig, gerade wenn es um ein so ernstes Thema geht. Meine beiden Mitstreiter und ich wollten Aufmerksamkeit schaffen. Unsere Meldestelle adressiert ein Tabuthema. Die Unzufriedenheit im Arbeitsleben scheint weit verbreitet zu sein, doch es gibt keine Diskussion darüber. Außer gelegentlichen Klagen am Stammtisch ist sie kein Thema. Aber jeder von uns hat das schon wahrgenommen: Berufstätige fühlen sich als Rädchen im Getriebe, es gibt massenhaft sinnfreie Jobs besonders in Großorganisationen.

Haben Sie konkrete Befunde, die Ihre Einschätzung stützen?

Schauen wir auf das Echo, das bei der Meldestelle ankam. Ein Beispiel: 'Ich würde Ihnen gerne etwas sagen ..., aber wenn mein Chef mich hier  sieht, das geht gar nicht', das hörten wir von Vorbeigehenden im Business-Outfit öfter. Es wurde uns zugeraunt, fast beiläufig, mit kaum verlangsamtem Schritt, damit ja nichts auffällt. 'Eigentlich halte ich es in dieser Arbeitswelt nicht mehr aus', sagte uns ein Finanzmanager am Stand der Meldestelle. Wie groß die Sehnsucht nach einer anderen Art des Arbeitens ist, zeigen auch die vielen Selfies, die einige der Verlustmelder ganz offen geknipst haben. Auf einer Schiefertafel konnten sie notieren, was ihnen bei der Arbeit fehlt: Gleichgewicht, Lebensfreude, Akzeptanz, Klarheit, Kreativsein mit Herz – die Liste der Verlustmeldungen ist lang.

Was hat Sie am meisten bewegt?

Das breite Echo über alle Altersklassen, Hierarchien und Berufe hinweg. Verloren gegangener Sinn ist ein großes Thema, das überall anzutreffen ist. Ein Azubi aus einem Kleinbetrieb, der war schon da, kaum dass die Meldestelle eröffnet hatte, und gab zu Protokoll: 'Ich werde jeden Tag mit dem Hund des Chefs zum Gassigehen geschickt. Ich würde so gerne endlich etwas lernen.' Eine junge Frau erzählte, ihr fehle das gemeinsame Forschen und Kreieren. 'Einfühlungsvermögen' sei bei der Arbeit abhanden gekommen, meldete ein anderer. So ging das den ganzen Tag, wenn wir uns zum Beispiel am Limmatplatz in der Zürcher City aufgebaut haben.

Was gab Ihnen überhaupt den Anstoß, diese Meldestelle für verloren gegangenen Sinn ins Leben zu rufen?

Ich habe die feinen Signale schon seit Jahren gespürt. Durch meine wissenschaftliche Arbeit am Lehrstuhl für Organisationspsychologie der Universität St. Gallen erhielt ich Zugang zu diesen Themen, das hat mich sensibilisiert. Spätestens seit meiner Arbeit mit Stride, einer alternativen Schule für Unternehmensführung in Zürich, wurde mir klar, dass es viele Menschen gibt, die Sinn und Motivation bei der Arbeit verloren haben. Wir verstehen das als riesiges Potenzial für persönliche wie gesellschaftliche Veränderung: Was, wenn nur ein Bruchteil all dieser Menschen tatsächlich anfängt, nach Alternativen zu suchen, und dann auch sinnvollere Tätigkeiten aufbaut? Das würde etwas auslösen. So entstand die Suche nach einem Weg, dem Thema ein Format zu geben, das öffentlich und sichtbar ist. Inspiriert hat uns die 'Meldestelle für Glücksmomente', eine Aktion, die 2003 von den Lehrern Mark Riklin und Regula Immler ins Leben gerufen wurde.

Wie formulieren Sie die vorläufige Bilanz Ihres Projekts?

Wir haben das Thema aus der Schweigefalle herausgeholt – und die still Leidenden aus der Einsamkeit. An jedem Öffnungstag der Meldestelle gab es bis zu hundert qualifizierte Kontakte – so konnten wir sehen, dass unsere Erwartung aufging: Wir haben einen anerkannten Raum geschaffen, wo jeder, der sich als Betroffener fühlt, reden und beitragen kann. Mit der Meldestelle ist ein Bild entstanden, das medial transportierbar ist. Das ist in einer Welt, in der digitale Kanäle die Aufmerksamkeitsgeneratoren sind, ungeheuer wichtig. Wir sind auf YouTube, Google und Instagram präsent – und haben damit einen Online-Anker, ohne den es heute nicht mehr geht.

Wie wollen Sie das Thema weiterdrehen, damit sich wirklich etwas ändert?

Mit unserem Anstoß machen wir den Berufstätigen bewusst, dass es auch einen Exit aus dieser Tretmühle gibt – wenn man nur seine Sache selbst in die Hand nimmt. Wenn die aktuelle Beschäftigung den Sinn nicht liefert, dann sollte die Ansage lauten: Tu etwas dafür, dass sich dein Umfeld ändert! Jeder kann tätig werden und die Bedingungen schaffen, dass Sinn und Erfüllung ganz normaler Teil des Lohns werden. Unsere Aufforderung lautet: Such dir ein Anliegen, mit dem du etwas bewegen kannst – und wenn das im bestehenden Arbeitsumfeld nicht geht, dann ist der Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit sicher eine Option, die jeder der heute Unzufriedenen ernsthaft prüfen sollte.

Dr. Björn Müller (40) gründete Ende 2017 die Meldestelle für verlorenen Sinn & Antrieb bei der Arbeit. Zuvor war er viele Jahre als Wissenschaftler am Lehrstuhl für Organisationspsychologie (OPSY) der Universität St. Gallen sowie als Berater und Coach tätig. Heute leitet er die Stride Unschool for Entrepreneurial Leadership, ein Startup in Zürich, sowie den Dream Tank Beam, ebenfalls ein Start­up. Kontakt: www.stride-learning.ch

Linktipp
www.lostfound.ch
Auf der Website der Aktion 'Meldestelle für verlorenen Sinn & Antrieb bei der Arbeit' können Such-, aber auch Fundmeldungen aufgegeben werden. Zudem werden dort die nächsten Termine der mobilen Meldestelle veröffentlicht. Auch auf Twitter, Facebook und Instagram läuft die Aktion – unter dem Hashtag #lostfound.
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