Mit einem Patent auf internet-basierte Lernhilfesysteme und -methoden hat das US-amerikanische Unternehmen Blackboard die E-Learning-Szene in Aufruhr gebracht. Inzwischen gibt es Entwarnung: Das Patent ist hier zu Lande nicht gültig. Doch das Thema Softwarepatente könnte durchaus auch in Deutschland bald eine Rolle spielen. managerSeminare zeigt, warum.
6,988,138. Diese Nummer hat in der E-Learning-Szene für viel Wirbel gesorgt. Hinter der Zahlenfolge verbirgt sich nämlich ein Patent für 'internet-basierte Lernhilfesysteme und -methoden. Erwirkt wurde es von dem US-amerikanischen Unternehmen Blackboard. Der E-Learning-Spezialist hat sich Funktionalitäten schützen lassen - mehr als 40 an der Zahl -, die nahezu in jedem Learning Management System zur Anwendung kommen. Doch damit nicht genug: Ein Tag nach der Bekanntgabe des Patents am 26. Juli 2006 erhob Blackboard gegen das aufstrebende kanadische Wettbewerbsunternehmen Desire2Learn eine Verletzungsklage auf Grundlage des Patents. Im Klartext: Blackboard fordert von Desire2Learn Lizenzgebühren für die Nutzung der patentierten Features.
Drohen jetzt auch Unternehmen in Deutschland Verletzungsklagen? Welche Auswirkungen hat das Patent genau? Hat sich Blackboard etwa die gesamte technologische Abwicklung von E-Learning schützen lassen? E-Learning-Unternehmen sowie Nutzer von Lernplattformen waren nach der Patent-Bekanntgabe mehr als verunsichert. Inzwischen haben sich die Wogen zumindest hier zu Lande wieder geglättet. Zum einen hat Blackboard in einem offenen Brief an seine Kunden versichert, man wolle keinesfalls den Anspruch erheben, E-Learning bzw. Kursmanagement erfunden zu haben. Wie Experten bestätigen, ist das Patent dafür auch viel zu spezifisch. So sind die aufgeführten Funktionalitäten für sich genommen nicht geschützt, sondern nur in jener speziellen Kombination, wie sie wohl nur beim Blackboard-LMS vorkommt. Zum anderen ist das Patent zwar in den USA, Australien, Neuseeland und Singapur rechtswirksam, nicht aber in Europa.
Software an sich ist in Deutschland nicht patentierbar
Hierzu muss man wissen: Während z.B. in den USA Softwarepatente schon lange eingeführt sind, gibt es sie in Europa - und damit auch in Deutschland - rein rechtlich nicht. 'Ein Computerprogramm als solches ist in Deutschland nicht patentierbar', teilt Rainer Osterwalder, Pressesprecher des Europäischen Patentamtes mit Hauptsitz in München, mit. Sich ein computergesteuertes Verfahren schützen zu lassen, sei nur möglich, wenn dieses einen weiteren technischen Effekt bewirke. Die computergesteuerte Bremsverzögerung ABS ist dafür ein Beispiel.
Das so genannte Technizitätskriterium ist allerdings stark umstritten. Schließlich ist es schwer abzuwägen, wann ein technischer Effekt vorliegt und wann nicht. Für den E-Learning-Bereich ist es laut Experten sehr unwahrscheinlich, dass nach dem jetzigen Ansatz ein Patent erteilt wird. So ist auch das Blackboard-Patent nach Ansicht von Manfred Postel, Geschäftsführer der Open-Source-Initiative CampusSource, für deutsche Unternehmen nicht von Belang - es sei denn, sie importieren ihre E-Learning-Lösung in die USA, nach Australien, Neuseeland oder Singapur.
Viele Konzerne haben ein Interesse an Softwarepatenten
Dass Blackboard auch in der Europäischen EU Patentansprüche angemeldet hat, sieht Postel auf Grund der hiesigen Rechtslage gelassen. 'Diese Patentanmeldungen werden nicht durchkommen', ist er überzeugt. Andere E-Learning-Experten sind da skeptischer. Tim Schlotfeldt etwa, der in der E-Learning-Szene u.a. durch seinen E-Learning-Blog bekannt ist und sich seit rund vier Jahren mit dem Patente-Thema beschäftigt, hält es durchaus für möglich, dass es Softwarepatente in Zukunft auch in Europa geben wird. 'Viele Großunternehmen wie Microsoft, IBM oder SAP haben Interesse, sich ihre Software schützen zu lassen, und arbeiten daran, US-amerikanische Verhältnisse in Europa einzuführen, sagt er.
US-amerikanische Verhältnisse heißt: Jedes Unternehmen, das geschützte Ideen in eigenen Programmen verwenden möchte, müsste den Patentinhaber künftig um Erlaubnis bitten. Tut es dies nicht, drohen Gerichtsverfahren. Herauszufinden, was bereits patentiert ist, ist indes sehr aufwändig und erfordert kostenintensive Patentrecherchen - die sich insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen nicht leisten können.
In 2005 hätten die Konzerne ihr Ziel der Patentierung fast erreicht gehabt. Der EU-Rechtsausschuss hatte sich nämlich dafür ausgesprochen, dass computerimplementierte Erfindungen in Europa patentierbar sein sollen. Nach einer großen Lobbyschlacht konnte die EU-Richtlinie aber doch noch abgewendet werden.
SAP hat Patente für E-Learning angemeldet
Dennoch, so meint Schlotfeldt, sitzt man in Sachen Softwarepatente auf einer Zeitbombe. Das Europäische Patentamt, das dafür bekannt ist, dass es den Patentbereich gerne ausweiten möchte, hat nach Schätzung des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) nämlich bereits um die 30.000 Softwarepatente erteilt. Auch SAP hat Patente für E-Learning-Formate beantragt. Sie tragen Namen wie 'E-Learning Authoring Tool', 'E-Learning Course Editor' und 'Structural Elements for a Collaborative E-Learning System'. 'Diese Patente sind zwar rechtlich nicht wirksam. Auf Grund der Bestrebungen bezüglich einer Änderung im Patentrecht stellen sie aber eine permanente Bedrohung dar, da Patente auch rückwirkend geltend gemacht werden können', so Schlotfeldt.
Befinden sich unter den beantragten Patenten z.B. E-Learning-Formate, die im SCORM-Standard verwendet werden, wären die Auswirkungen für den E-Learning-Markt fatal', erläutert der Berater. Da sich Lernplattformen bekanntlich an Standards wie SCORM ausrichten, müssten alle Nutzer der Learning Management Systeme nachträglich Lizenzgebühren bezahlen. 'Die Folge wäre eine Marktbereinigung. Mittelständische Unternehmen dürften sich durch die hohen Lizenzkosten nicht lange auf dem Markt halten können', meint Schlotfeldt. Auch Open-Source-Produkte wie ILIAS oder Moodle würden aus dem Markt verdrängt, da diese auf einem lizenzfreien Konzept beruhen. Grausige Aussichten. Bleibt zu hoffen, dass die im EU-Parlament derzeit diskutierte neue EU-weite Patentgerichtsbarkeit nicht durchgesetzt wird. Über die heißt es nämlich, dass sie auch Hintertüren für Softwarepatente öffnen könnte.