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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Silke Hermann aus managerSeminare 281, August 2021
„A fool with a tool is still a fool.” So lautet eine im englischen Sprachraum gern genutzte Redewendung, die sich schwer ins Deutsche übertragen lässt. Leider lehrt uns die Realität in den Organisationen: Wir sind in diesem Sinne alle Deppen. Eine besondere Situation hat uns dazu gemacht: Dank einer Phase der Hochkonjunktur war es zahlreichen Unternehmen in den vergangenen Jahren möglich, trotz veralteter Strukturen und Arbeitsweisen viel Geld zu verdienen. Obgleich sich herumgesprochen hat, dass eine grundsätzliche Modernisierung nötig ist, haben sie es dabei belassen, mit vermeintlich neuen Tools und Methoden Modernität darzustellen, statt sich tiefgreifend zu wandeln.
Ein wenig erinnert das an den Boom hochwertiger Designerküchen der vergangenen Jahre. Interessanterweise werden diese Luxuseinrichtungen – die dem Preis eines Luxusautos in nichts nachstehen müssen – ausgerechnet von einer Klientel angeschafft, die gar nicht vorhat, viel daheim zu kochen. Es geht bei der Hipsterisierung der Küche also um etwas anderes als das Kocherlebnis: Es geht um die Zurschaustellung der Artefakte von Wohlstand, Zeitgeist und Kultiviertheit. Ähnlich verhält es sich in Organisationen, die nach außen hin Zeitgeist und Modernität demonstrieren, weil es reputationswirksam ist: Um sich von „alten“ Vorgehensweisen abzusetzen, inszenieren sie das „Neue“ und achten gleichzeitig darauf, sich in einem Milieu des allgemein Akzeptierten zu bewegen. Gängige Managementinstrumente eignen sich hervorragend als Mittel derartiger Aufhübschung. Sie sind leicht beschaffbar und können durch Trainings „eingeführt“ werden. Das heißt: Mitarbeitende werden trainiert, ohne dass dabei Grundlegendes hinterfragt oder gar angepasst werden müsste. Die Trainingsindustrie hat auf diesen Bedarf reagiert und ist so in den vergangenen Jahren massiv gewachsen – obwohl oder gerade weil Trainings nur geringe Wirkung auf die Realität von Organisationen haben. In der Pharmazie würde man sagen: Die Bioverfügbarkeit ist gering.
Die Hipstertools, die in den Trainings vermittelt werden, sind nichts weiter als hochgetunte, neu gelabelte Wiedergänger obsolet gewordener Tools vergangener Zeiten. Der Vorteil des Recyclings von Methoden aus den 1960er- bis 2000er-Jahren: Gerade durch die Wiedererweckung sind die Methoden „anschlussfähig“. So legte beispielsweise das 2010 vom Schweizer Alexander Osterwalder und dem Belgier Yves Pigneur vorgestellte Business Model Canvas im vorigen Jahrzehnt einen beachtlichen Siegeszug hin.
Das Konzept mit seinen neun Feldern auf einem einzigen großen Plakat überzeugt durch überschaubares Design und verspricht einfache Bearbeitbarkeit. Das Befüllen der Felder soll den Weg zu neuen Geschäftsmodellen ebnen. Gern wird bei der Einordnung der Canvas-Methode übersehen, dass der Ansatz inhaltlich nichts anderes leistet, als dem Ansatz der klassischen strategischen Planung oder dem Tool der Balanced Scorecard aus den 1990er-Jahren ein neues Vokabular zu verleihen. Beide Ansätze – strategische Planung und Scorecards – waren in den 2000er-Jahren aus der Mode gekommen und als nutzlos in Verruf geraten. Das Canvas-Tool knüpft nahtlos dort an, wo die jahrzehntelangen Bemühungen um „Strategie“ in die Sackgasse geraten waren, und führt auch die Hauptprobleme strategischer Ansätze fort, darunter zum Beispiel die schwachen Zusammenhänge zwischen den Scorecard- ... oh, Verzeihung ... Canvasdimensionen. Inzwischen werden nicht nur Geschäftsmodelle canvasiert, alles Mögliche und Unmögliche wird auf Canvases abgebildet. Die totale Canvasierung der Arbeit ist im Angebot.
Ansätze wie Design Thinking und Lego Serious Play versprechen unterdes einen ungeahnten Kreativitätsboost auf dem Weg zu mehr Innovation. Der Umstand, dass die Methode Design Thinking quasi an der Stanford University geboren wurde und Serious Play beim Bausteinhersteller Lego, adelt diese Hipstertools vorauseilend. Ihr Charme liegt vor allem darin, dass sie die Entfaltung von Kreativität zu jedem Zeitpunkt, auf jedes beliebige Thema bezogen und mit nahezu beliebigen Teilnehmenden suggerieren. Kompetenz, Vorkenntnisse, Erfahrung können, so wird suggeriert, durch Haltung, Offenheit und „das richtige Mindset“ ersetzt werden. Kurzum: Design Thinking und Co. versprechen eine Welt fast wie im Märchen. Dabei basiert die vermeintlich neue Methode auf einer Kombination aus Kreativtechniken, Prototyping und Experiment. Also Methoden, die wir schon sehr lange kennen. Gerade in den 1980er- und 1990er-Jahren waren die vielfältigen Kreativitätstechniken äußerst beliebt – bevor sie irgendwann wegen zu geringer Wirksamkeit in den Hintergrund traten. Willkommen zurück!
Zu ähnlicher Popularität hat es in den vergangenen Jahren die Methode der OKRs gebracht. Der Erfolg von OKRs (abgekürzt für Objectives and Key Results) nährt sich vom Mythos, die Methode habe wesentlich zum Erfolg von Google beigetragen. Und wollen wir nicht alle ein bisschen wie Google sein? Beim Einsatz von OKRs werden Ziele auf der Teamebene quartalsweise festgeschrieben. Diese Ziele basieren auf einer Unternehmensvision oder -strategie und folgen damit einer Top-down-Logik. Also der Mechanik des Management by Objectives (kurz: MbO), das bei uns ab den 1970er-Jahren verbreitet war – und erst in den 2000ern weitläufig in Verruf geriet, weil die Daseinsberechtigung von Zielsetzungen und fixierten Zielen im Zweck zentraler Steuerung liegt. Die Philosophie der Zielvorgabe, die OKRs und ihrem Vorläufer MbO innewohnt, setzt lineare Wenn-dann-Beziehungen in Arbeit und Leistungsentstehung voraus. Die Vorstellung von der Organisation als Maschine ist somit implizit im OKR-Konzept verankert. Begründet wird die „Modernität“ des Ansatzes damit, dass hier nicht das Individuum, sondern das Team Ziele formuliere bzw. annehme, und damit, dass dies viel „kurzfristiger“ und häufiger als früher üblich geschieht, als Ziele bloß einmal jährlich vereinbart wurden. Garniert wird das Ganze mit einer als „Ambition“ verkleideten, systematisch gewollten Überforderungsideologie: OKR-Ziele sollen letztlich „unerreichbar“ sein. Anders gesagt: 70 Prozent Zielerreichung ist die neue 100-Prozent-Zielerreichung! Der Ansatz macht sich damit überholte, männliche Bilder von Kraft und Potenz zu eigen.
Canvases, Design Thinking und OKRs sind nur drei Beispiele für die Wiederkehr althergebrachter, verbrauchter Tools in hippem Gewand. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Nun ist es nicht so, dass ich neue Managementinstrumente per se für unsinnig erklären möchte. Es bedarf vielmehr der differenzierten Verortung. Das wesentliche und durchgängige Problem mit den Hipstertools ist, dass nicht der Inhalt, sondern das Instrument selbst im Vordergrund steht, und dass das Tool als wesentlicher Teil der Lösung positioniert wird: „Wir nutzen ein Canvas und sind damit moderne Geschäftsentwickler“, „Wir arbeiten mit OKRs und sind daher belastbare Macher“, „Wir nutzen Design Thinking und sind daher innovativ“. Dummerweise aber ist nach wie vor für jemanden, der nur einen (Designer-)Hammer hat, jedes Problem ein Nagel. Werkzeuge wirken nicht für sich genommen. Werkzeuge müssen zur Aufgabe passen. Und die Aufgabe (das „Problem“) zu kennen und zu verstehen – das ist das eigentliche Problem! Zudem sollten wir ein Problem auch wirklich, wirklich lösen wollen, bevor wir über angemessene Werkzeuge entscheiden. Manche scheinbar modernen Managementmethoden sind reine Zombies. Manche können in spezifischen Situationen gute Dienste leisten. Grundsätzlich jedoch kann die isolierte Nutzung eines Tools in lebendigen Systemen, wie Organisationen es sind, nie viel bewirken. Tools dürfen immer nur Mittel zum Zweck sein.
In Zeiten einer zunehmend globalen Ökonomie, die sich dem Beginn einer weltumspannenden ökologischen Aufklärung gegenübersieht, werden umsichtige, schnell reagierende Organisationen und vielfältige Innovationen benötigt. Unternehmen werden in sich stark veränderten Kontexten wirtschaften müssen – dazu braucht es kluges Handeln. Ich wage die These, dass OKRs und Co. dabei keine Rolle spielen werden.
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