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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Henning Beck aus managerSeminare 313, April 2024
Nie war es einfacher, an Informationen zu kommen als heute. Das Internet hat es Menschen auf der gesamten Welt einfach gemacht, genau das zu finden, was sie gerade brauchen. Wie beschwerlich war es noch in den 90ern: Man hat in dicken Lexika nachgeschlagen, wenn man etwas wissen wollte. Das dauerte ewig und war nur für eine Bildungselite problemlos möglich. Kein Wunder, dass das Versprechen des Internets gewaltig war: Es wird das Weltwissen demokratisieren, Zugang zu allen Informationen ermöglichen und letztlich dazu führen, dass sich jeder Mensch frei entfalten kann. Tatsächlich dachte man damals, dass das Internet eine gewaltige Demokratiewelle lostreten könnte. Wie sollten sich Diktaturen halten, wenn man jederzeit an alle Informationen kommen kann? Im Jahr 2000 prognostizierte „Die Welt“, dass bis 2020 sogar China demokratisch sein könnte.
Das Demokratieversprechen der neuen Informationswelt hat sich ganz offensichtlich nicht erfüllt. Und dass wir heute alle gebildeter sind als vor 20 Jahren, daran gibt es (unterfüttert durch allerlei Bildungsstudien) belegbare Zweifel. Warum nur sind wir heute überinformiert aber „unter-gebildet“?
Ein wichtiger Aspekt des Lernens ist, dass man durch Grenzübertritte Dinge versteht. Jedes Kind lernt, die Welt zu begreifen, indem es Regeln testet. Auch bei Erwachsenen ist der Kontrast im Wissenserwerb entscheidend: nicht nur zu wissen, was man weiß, sondern auch, was man nicht weiß. Nur wer die Grenzen seines Wissens kennt, kann sie auch erweitern. Das Problem ist: Das größte Geschäftsmodell unserer Zeit baut nicht darauf auf, über den Tellerrand zu schauen. Sondern darauf, uns genau das anzubieten, was zu uns passen soll.
Es gibt nicht „das Internet“. Es gibt „Ihr Internet“. Ihr Netflix, Ihr Amazon, Ihr Spotify, Ihr Google, Ihr Instagram. Jeder von uns sieht ein anderes Internet, wenn er darin surft. Im Grunde haben auch „Social Media“ niemals existiert. Es waren von Anfang an „Individual Media“. Plattformen, auf denen jeder rausrufen kann, was er will. Und wer am lautesten brüllt, bekommt am meisten Aufmerksamkeit. Was in Zukunft passiert, wenn durch KI passgenaue Inhalte für jeden Menschen auf der Welt maßgeschneidert werden können, ist eine spannende Frage. Doch schon jetzt müssen wir aufpassen, digitale Medien nicht dafür zu benutzen, um uns bloß zu bestätigen.
Als ich in den USA für ein Buch recherchierte, traf ich auf einer Veranstaltung Mitarbeiter von Google. „Henning, du suchst gute Ideen und Anekdoten für dein nächstes Buch?“, fragten sie. „Dann geh nicht ins Internet. Dort findest du in erster Linie das, was zu dir passen soll.“ Das war übrigens dieselbe Konferenz, auf der die Teilnehmenden ein Umhängeschild mit ihrem Namen, ihrem Herkunftsort und dem Titel des zuletzt gelesenen Buches trugen. Denn so alt diese Kulturtechnik ist, tief in einen Gedanken einzusteigen und nachzudenken, schadet gerade dann nicht, wenn man in einer hektischen Informationswelt mit Nachrichten zugeschüttet wird.
Unsere Aufgabe ist es, auf die Vielfalt dieser Informationen zu achten. Sonst werden wir leichte Beute für digitale Manipulation. Wenn ich eine Zeitung kaufe, gebe ich ein paar Euro dafür aus, um an Artikel zu kommen, die sonst durch Algorithmen von mir abgeblockt werden. Wenn ich Radio höre, im Fernsehen rumzappe, in andere Länder reise oder Städte besuche, tue ich genau das, was keine KI mag: Man konfrontiert sich mit Widersprüchlichem. So wie Sie gerade dieses Magazin lesen. Jede Seite ist ein Angebot, an eine überraschende Information zu kommen. Nur durch diese Neugier auf das andere werden wir wirklich gebildet.
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