Schlauer lernen
Schlauer lernen

Denke nie an morgen

Henning Beck erklärt, warum wir die Zukunft zur Gegenwart machen müssen, um ins Handeln zu kommen.

Als ich in die dritte Klasse ging, hatten wir eine Projektwoche zum Thema „Umwelt- und Naturschutz“. Kein Wunder, denn kleine Kinder lieben die Pflanzen und Tiere um sich herum. Zwei Gruppen bearbeiteten das Thema „Weggeworfenes Plastik“, eine Gruppe den Treibhauseffekt, ich war in der Gruppe „Ozonloch“. Wohlgemerkt: Das war fast 30 Jahre, bevor Schüler anfingen, für den Klimaschutz zu streiken. Überall hört man heute, wie dringend der Klimawandel ist, dabei war das jahrzehntelang schon Schulstoff. Wer hätte auch das ganze Mikroplastik in den Meeren kommen sehen? Ich sage es Ihnen: Das waren wir, die Klasse 3a aus Weiterstadt.

Es ist paradox: Wir verschlafen alle möglichen Probleme der Zukunft. Dass das Rentensystem in einigen Jahren praktisch unfinanzierbar wird, jeder weiß es schon heute. Der Fachkräftemangel, die Demografie, die Digitalisierung – ständig wird man von der Zukunft überrascht. Als würde man jedes Jahr vergessen, Winterreifen draufzuziehen, um dann festzustellen, dass es im Winter schneien kann. Warum ist das so?

An dieser Stelle müssen Sie nun stark sein: Sie sind sich selbst egal. Zumindest ist Ihnen Ihr zukünftiges Ich gleichgültig. Das liegt daran, wie sich Menschen ein Selbstbewusstsein erzeugen. Wenn ich Sie bitte, sich jetzt auf sich selbst zu konzentrieren, wie Sie diesen Artikel lesen, sind in Ihrem Gehirn zwei Regionen aktiv: Eine vordere Region hinter Ihrer Stirn erzeugt eine Aufmerksamkeit auf sich selbst, während eine hintere Region die Vorstellung davon erzeugt, wie Sie „von außen betrachtet“ lesen. Wenn Sie sich nun vorstellen, dass Sie nicht jetzt, sondern in der Zukunft diese Zeilen lesen, wird die vordere Hirnaktivität reduziert. Sprich: In Ihrer Vorstellung lesen dann nicht Sie, sondern irgendjemand diesen Artikel. Und je weiter diese Zukunft entfernt liegt, desto entfernter ist auch die lesende Person.

Das bedeutet: In der Zukunft leben nur fremde Personen. Warum sollte man sich also für jemand komplett Fremden einsetzen? Er kann sich ja nicht wehren. So erklärt sich ein Großteil der menschlichen Faulheit. Lieber jetzt auf dem Sofa sitzen und Chips essen als ins Fitnessstudio gehen oder eine Runde joggen. Ihr zukünftiges Ich hat heute nichts zu melden. Bis irgendwann die Zukunft vor der Tür steht. Dann ist es meistens zu spät.

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Das Einzige, was dagegen hilft, ist, die Zukunft zur Gegenwart zu machen. Statt sich zu fragen „Was habe ich in der Zukunft davon?“, sollte man sich fragen „Was bringt es mir jetzt?“. Jeder kennt es aus der Schule. Hier wird immer irgendwann die wichtigste Frage von allen gestellt: Und wofür brauche ich das? Wer dann mit irgendeinem Zukunftsszenario antwortet, hat schon verloren. Stattdessen sollte man mit ganz konkreten Gegenwartsbeispielen die Nützlichkeit betonen. Bei Veränderungsprozessen in Unternehmen ist es dasselbe Spiel: Niemand ändert sein Verhalten, damit man in fünf Jahren mehr Geld verdient. Sondern dann, wenn man einen schnellen Effekt erzielt. Und für Gesellschaften gilt es genauso: Niemand rettet die Welt, weil das moralisch sinnvoll ist. Sondern dann, wenn man konkret erlebt, wofür das gut ist.

Wie bei uns Grundschülern: Zu meinem neunten Geburtstag organisierte mein findiger Vater eine „Müllrallye“. Statt einer Standard-Schnitzeljagd gingen wir durch die umliegenden Felder, dokumentierten und beseitigten den rumliegenden Müll. Die Gruppe mit dem meisten Müll gewann. Das gab im Freundeskreis ein großes Hallo, denn wir erlebten konkret und spielerisch, was Umweltschutz sein kann. Dass mein Schulkumpel von damals heute im „Club of Rome“ ist, wundert mich nicht.

Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „12 Gesetze der Dummheit“. Kontakt: ­henning-beck.com

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