Wenn die Führungssituation in einem Unternehmen so richtig verfahren ist, wird oft die Vision als Universal-Problemlöser bemüht. 'Wir brauchen eine Vision, und alles wird gut', heißt es dann. Funktioniert das wirklich?
Reinhard Sprenger: Ich kann nur warnen. Eine positive Korrelation zwischen Vision und Unternehmenserfolg ist bisher noch niemals wissenschaftlich nachgewiesen worden. Schlimmer noch: Die Vision von heute kann die strategische Zwangsjacke von morgen sein. So viele Unternehmen sind mit ihren hochtönenden Visionen ins Verderben gefahren. Ein starker Slogan kann das Nachdenken 20 Jahre lang verhindern - weil sich alle auf reduktionistischen Heilsbotschaften ausruhen, nicht mehr ihren Kopf benutzen und nicht mehr flexibel auf die Märkte reagieren.
Egal, ob sie Leitbilder, Mission-Statements oder Visionen heißen - sie alle gaukeln eine Eindeutigkeit vor, die es so in der Lebenswirklichkeit
nicht gibt. Sie stürzen Mitarbeiter in verwirrende Dilemmata zwischen
Forderungen, Werten und Interessen, die alle berechtigt sind. Als könne man sich zwischen Durchsetzungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen entscheiden, zwischen global und lokal, zwischen zentral und dezentral, Wettbewerb und Kooperation. Wenn man sich da auf eine Seite schlägt, wird man den Paradoxien der Wirklichkeit nicht gerecht.