Die moderne Wissenschaft der Ökonomie unterscheidet vor allem nach dem Kriterium von Rationalität und Irrationalität. Dasselbe gilt in der Praxis: Was zu ökonomischem Erfolg führt, gilt automatisch als rational. Und damit als richtig. Die Kritik an der Wirtschaft hingegen argumentiert vor allem moralisch: Das Übel liegt dabei wahlweise im Kapital oder im Konsumwahn, bei den Unternehmern oder den Gewerkschaften, bei den Banken oder bei den Spekulanten. Immer aber geht es darum, dass das System doch den Menschen dienen sollte, und es doch nicht tut.
Für Niklas Luhmann verfehlen beide Sichtweisen den Kern der Wirtschaft, denn sie können nicht erklären, was das überhaupt ist, was die moderne Gesellschaft Wirtschaft nennt. Der Systemtheoretiker und Soziologe stellt die Frage, was wirklich passiert, wenn wir wirtschaften, radikal neu. Dabei findet er eine Antwort, die auf den ersten Blick verwirrend erscheint.
Wirtschaft beruht nach Luhmann nämlich auf einem unlösbaren Widerspruch, dem Paradoxon der Knappheit. Das besagt: Je mehr man von einer knappen Ressource erwirbt, um den eigenen Mangel daran zu beheben, umso weniger ist davon insgesamt vorhanden. Wer zum Beispiel sein Auto volltankt, verringert mit all den anderen, die das Gleiche tun, die verfügbare Menge an Benzin. Aus mehr wird weniger. In der eigentümlichen Rhetorik Luhmanns heißt das, 'dass jeder Zugriff auf knappe Güter, der der Minderung der Knappheit dient, die Knappheit vermehrt.' Dieses Paradoxon ist für Luhmann der Grund, auf dem wirtschaftliches Handeln verstanden werden muss. Das bedeutet zugleich, dass wir gewohnte Gewissheiten über Bord werfen müssen.
Extra:- Infokasten: Niklas Luhmann – Leben, Werk, Wirkung