Virtuelles Selbstcoaching - kann das funktionieren? Diese Frage stellte sich Professor Dr. Harald Geißler von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg vor gut einem Jahr zum ersten Mal, als er von Kollegen um ein Referat zum Thema gebeten wurde. Der Wissenschaftler und Leiter der Hamburger Forschungsstelle Coaching-Gutachten war zum damaligen Zeitpunkt äußerst skeptisch, was die Wirkung virtuellen Selbstcoachings anging. Dennoch war sein Forschungsdrang geweckt. Geißler machte sich gemeinsam mit dem Unternehmensberater und Coach Dr. Peter Höher an die Entwicklung eines aufwendigen Tools für diese Form des Coachings und erprobte es an 123 Probanden.
Seit Anfang Januar 2007 steht das Instrument nun einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung: Unter www.virtuelles-selbstcoaching.de finden Interessenten ein System, das sie dabei unterstützt, unterschiedliche Fragestellungen und Probleme in intensiver Selbstreflexion zu bearbeiten - von Beziehungsproblemen bis hin zur Karriereplanung. Voraussetzung: Der Nutzer bringt ausreichend Zeit mit. Für die Bearbeitung sind nämlich mindestens drei Stunden zu veranschlagen, gilt es doch, eine Ausgangsproblematik in zahlreichen Schritten zu einer ganz konkreten Fragestellung zu verdichten und diese aus verschiedenen Perspektiven zu reflektieren. Das System gibt - ebenso wie ein guter echter Coach - keine Handlungs- oder Entscheidungsempfehlungen und bewertet die gegebenen Antworten auch nicht.
Kaum eine Testperson sehnte sich nach einem realen Coach
Bei Geißlers Testpersonen kam diese Form der virtuellen Unterstützung größtenteils gut an. Nur sehr wenige Probanden - laut Geißler weniger als zehn - gaben im Nachhinein an, dass sie unzufrieden waren und sich eher den Kontakt zu einem Coach aus Fleisch und Blut gewünscht hätten. Wobei es - so Geißler - überwiegend Frauen waren, die die Arbeit mit dem virtuellen Coach als 'zu kalt' empfanden und sich ein menschliches Gegenüber wünschten. Die insgesamt positive Resonanz wertet Geißler als gutes Zeichen, mit dem Tool auch neue, bislang coachingferne Zielgruppen ansprechen zu können. Beispielsweise sehr kognitiv orientierte Männer, die immer noch Schwierigkeiten damit haben, sich auf einen Coach einzulassen. 'Sie könnten von der Distanz des Internets profitieren', schätzt der Forscher. Auch die Mitarbeiter kleiner und mittelständischer Betriebe hat er als Kunden seines Internetangebotes im Visier. 'Schließlich bieten KMU ihren Mitarbeitern aus Kostengründen selten ein Coaching an', weiß Geißler. Die virtuelle Offerte hilft aus zweierlei Gründen Kosten sparen: Zum einen ist sie (mit 45 Euro für das Basis-Paket) im Vergleich zu einem Face-to-Face-Coaching tatsächlich sehr preisgünstig. Zum anderen vermag sie, einen sich eventuell anschließenden Coaching-Prozess auf das Wesentliche zu beschränken.
Dass das virtuelle Selbstcoaching nur Vorstufe für ein 'echtes' Coaching sein kann, meint denn auch Testperson Klaus Ebert, nebenberuflich selbst als Coach aktiv. 'Das System macht es dem Nutzer zu einfach, bestimmte Fragen zu umgehen', so Ebert. Geißler räumt darüber hinaus ein, dass das System für einige Personen gar nicht in Frage kommt. Nämlich solche, die für eine Weiterentwicklung dringend die Konfrontation brauchen. Diese aber kann nur ein Coach aus Fleisch und Blut liefern.