Wovon träumen Sie? Vom nächsten Urlaub, von der nächsten Gehaltserhöhung, von der neuen Liebe, die so ganz anders wäre als die alte? Die Antwort auf Fragen wie diese fällt meistens leicht. Es genügt ein Blick in die Werbe-Einblendungen des Vorabendprogramms, um ein Bild davon zu gewinnen, wovon die meisten Menschen träumen: von dem, was sie nicht haben. Warum aber leben sie ein Leben, das sie offenbar nicht leben wollen? Auch darauf fällt die Antwort selten schwer: weil eben die Umstände so sind, wie sie sind; weil man morgens eben zur Arbeit muss und wegen der Kinder und so fort. Die Entfernung zwischen dem Leben, wie es sein könnte, und dem, wie es ist – für viele ist sie so groß wie die Entfernung vom Andromeda-Nebel zur Erde.
Dies gilt besonders für die Arbeitswelt. Wie anders ist es zu erklären, dass die Umfragen zur Zufriedenheit im Job alljährlich zu erschreckenden Ergebnissen kommen: Jeder zweite macht nur Dienst nach Vorschrift, jeder dritte hat innerlich gekündigt, die Chefdiffamierungsbücher boomen. Die Unternehmen scheinen von Zombies bevölkert, die Tag für Tag an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, ohne dort je anzukommen oder innerlich anwesend zu sein.
Bekanntlich ist es der platonsche Sokrates, der die Frage, 'wie man leben soll', erstmals ausdrücklich für sich selbst stellt, und es ablehnt, darauf eine generelle, unterschiedslos auf alle Menschen zutreffende Antwort zu geben. Es ist der jeweils individuelle Mensch, der nach seinem Weg im Leben sucht. Wäre es anders, bräuchte vom Individuum gar keine Rede zu sein. Doch in einer Gruppe, in der Gesellschaft, so die Theorie, sind Einzelne immer bestrebt, ihr Verhalten den Normen und Erwartungen ihres sozialen und kulturellen Umfeldes anzupassen.
Extra:- Literaturtipp: Reinhard Sprengers neues Buch 'An der Freiheit des anderen kommt keiner vorbei' (Campus Verlag 2013), auf dem der Artikel basiert