'Die Welt will betrogen sein' heißt es in der mittelalterlichen Satire 'Das Narrenschiff'. Im Frühjahr 2011 allerdings nahm es die Welt doch einmal genauer mit der Wahrheit. Der Atom-GAU in Japan brachte eine Welle kritischen Denkens in Gang, ein Klima, in dem Behauptungen nicht einfach geschluckt, sondern auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft wurden. In Deutschland etwa die Aussagen der Energiekonzernchefs, die angesichts eines möglichen Ausstiegs aus der Kernenergie vor steigenden Strompreisen warnten. Dass in solchen Rechnungen andere Faktoren unter den Tisch fallen – etwa die versteckten Summen, die die Atomkraft die Gesellschaft kostet – das fiel auf und wurde diskutiert. Ausnahmsweise.
Eine derartige Wachheit im Umgang mit Behauptungen ist im Alltag nicht selbstverständlich bzw. schwer zu erreichen, wenn die Dinge glattlaufen. 'Es braucht meist ein einschneidendes Erlebnis wie die Ereignisse in Japan oder zumindest ein Gefühl von Ambiguität, damit Menschen anfangen, kritisch über einen Sachverhalt nachzudenken', erklärt Dirk Jahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Im Normalfall schlucken wir vieles, ohne mit der Wimper zu zucken – selbst Nonsense-Begründungen wie 'Wir sollten den Prozess beschleunigen, weil der Prozess zu langsam ist' (so etwas nennt man zirkuläre Argumentation).
Stattdessen neigen wir dazu, unserer Intuition zu vertrauen. 'Informationen immer völlig rational zu verarbeiten, lohnt sich häufig auch gar nicht, der Aufwand würde den Nutzen übersteigen', erläutert Uwe Peter Kanning, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Doch auf das Bauchgefühl ist nicht immer Verlass.
Extras:- Von Framing-Fehlern bis Confirmation Bias: Neun klassische Kognitionsfallen
- Leitfaden für Skeptiker: Eine kurze Anleitung zur systematischen Überprüfung von Behauptungen
- Literaturtipps: Kurzrezensionen von vier Büchern zum Thema kritisches Denken und Hinweis auf einen Fachartikel über den Halo-Effekt