Arthur Jores, einer der großen deutschen Mediziner auf dem Gebiet der Psychosomatik, nannte das Phänomen den Pensionierungstod. Bei der Untersuchung der Lebensläufe von Lehrern stellte er fest, daß überdurchschnittlich viele bereits im ersten oder zweiten Jahr ihres Rentner-Daseins starben. Seine Begründung: Sie hatten ihren Lebenssinn verloren. Der über Jahrzehnte eingeschliffene, schematisierte Tagesablauf war von einem Tag auf den anderen weggebrochen. Die plötzliche Freizeit machte die innere Leere und die verlernte Flexibilität, sich neue Herausforderungen oder Interessengebiete zu suchen, nur noch offensichtlicher. Geistige Erstarrung als Todesursache?
Längst gibt es unzählige Untersuchungen, die immer wieder einen schlichten Zusammenhang belegen: Ein herausfordernder und vor allem abwechslungsreicher Beruf ist die zentrale Stütze für Lebenszufriedenheit. Lebenszufriedenheit ist die Grundlage für Gesundheit und ein langes Leben - auch über die Pensionierung hinaus. Gesundheit wiederum ist eine leistungsbereite Einstellung, die Menschen handlungsfähig macht. Bestes Beispiel hierfür ist die sogenannte Managerkrankheit, die ihren Namen inzwischen völlig zu unrecht trägt: Der Herzinfarkt trifft empirisch nachweisbar untere soziale Schichten weitaus häufiger, der Genesungsprozeß verläuft langwieriger, die Betroffenen finden nur noch mit großer Mühe in den Arbeitsprozeß zurück. Es sind die Selbständigen, die sich am schnellsten wieder aufrappeln und ihre Arbeit wieder aufnehmen - nicht selten im gewohnten Umfang und ohne erkennbare Einbußen ihrer Leistungsfähigkeit.
Engagement, Eigeninitiative und hohe Einsatzbereitschaft werden von Führungskräften daher selten als aufoktroyierte und fremdbestimmte Tugenden verstanden, sondern sind Eigenschaften, mit denen sie positive und sinnstiftende Erfahrungen verbinden. Der Beruf als Berufung ist keine utopische Leerformel, er wird tatsächlich so erlebt. Bereits Mitte der 70er Jahre belegte eine große US-Studie, daß 70 Prozent der Leute, die in ihrem Beruf glücklich waren, auch ihr Privatleben befriedigend fanden. Hingegen sagten nur 14 Prozent, die mit ihrem Job unzufrieden waren, daß sie ein glückliches Privatleben für dieses Manko entschädigen würde.
Eine regelmäßige 60-oder mehr-Stunden-Woche stellt daher auch noch keinen Raubbau an der Gesundheit dar, wie häufig irrtümlich angenommen wird. An die physische und psychische Substanz geht die Arbeit erst dann, wenn deren Sinn auf der Strecke bleibt…