Ob die Temperatur tatsächlich unter Null lag, kann Franz J. Michel nicht mehr sagen. 'Es war auf jeden Fall sehr kühl im Schlafsack in dieser Nacht', erinnert sich der Vorstandsvorsitzende des Kreditversicherers Coface. Im November 2011 nahm der Top-Manager mit seinen beiden Vorstandskollegen an einem besonderen Seminar teil: In Begleitung zweier Coachs durchwanderte das Vorstandsteam die wüstenartigen Industriebrachen rund um den teilweise stillgelegten Tagebau in der Niederlausitz. Das Programm der dreitägigen Coachingexpedition: gehen, wahrnehmen, sprechen. In der ersten Nacht schliefen alle auf dem Betonboden einer alten Scheune. Insgesamt legte die Gruppe rund 40 Kilometer zurück. 'Das war ein eindrucksvolles Erlebnis', sagt Michel rückblickend.
Expeditionen wie diese sind in der Managerweiterbildung schon lange ein Trend. Statt inhouse oder im Hotel zu lernen, fliegen Führungskräfte zum Wüstenseminar nach Marokko, erklimmen den Gipfel des Kilimandscharo, erkunden asiatische Großstädte oder wandern wie Michel im Niederlausitzer Tagebaugebiet. Die Angebotsvielfalt rund um die sogenannten Learning Expeditions ist groß – und wächst stetig. Die Programmgestaltung und Themen der Reisen sind dabei genauso unterschiedlich wie ihre Destinationen. Gemeinsam ist allen, dass sie Teilnehmern durch ungewöhnliche Erlebnisse neue Impulse für den Berufsalltag bescheren wollen.
Doch woher kommt der Boom der Bildungstrips? 'Lernreisen bieten die Möglichkeit, über Fragen nachzudenken, für die im Alltag sonst wenig Zeit bleibt', sagt Volker Letzner von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München. Der Ökonom und Tourismusexperte beschäftigt sich unter anderem mit den Nachfragedeterminanten von Bildungsreisen. Er sieht das Wachstum dieses Segments vor dem Hintergrund veränderter Lebens- und Beschäftigungsverhältnisse. 'Es gibt ein gestiegenes Bedürfnis nach Entschleunigung', meint Letzner.
Extras:- Zur Weiterbildung auf Tour: Vier verschiedene Formate
- Literaturtipps: Kurzrezension eines Buchs über Führungstrainings und Hinweis auf zwei Fachartikel über besondere Coachingformate