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Learntec 2013

Digitale Demenz versus digitale Relevanz?

'Digitale Medien machen uns dumm' - seit Manfred Spitzers Buch 'Digitale Demenz' steht die These im Raum. Die Messe Learntec, seit über 20 Jahren dem Thema computergestütztes Lernen verschrieben, wollte die Botschaft des Hirnforschers nicht unkommentiert lassen. Mit einer Podiumsdiskussion zum Thema 'Digitale Relevanz' setzte sie einen Kontrapunkt. managerSeminare sprach mit Diskussionsteilnehmer Peter Vorderer und Learntec-Kongressbeirat Peter Henning.

Herr Prof. Vorderer, Sie haben sich mit Manfred Spitzers Buch Digitale Demenz auseinandergesetzt. Was halten Sie von seinen Thesen und seiner Haltung zum Thema digitale Medien?

Peter Vorderer: Ernst nehme ich generell die Sorge, die sich aus der relativen Unkenntnis dessen ergibt, was aufgrund von neuen Medien auf uns zukommt. Aber ich halte nichts davon, mit überzogenen, simplifizierenden und in der Regel völlig unabhängig von der Forschungslage argumentierenden Antworten ein Publikum davon überzeugen zu wollen, dass alles immer schlimmer wird. Ich halte auch nichts davon, Vorschläge zu machen, die jenseits dessen sind, was jemand in dieser Welt wollen oder können kann. Eine Forderung zum Beispiel wie die, Jugendliche und junge Heranwachsende nicht mit dem Computer umgehen zu lassen – das kann man nicht ernsthaft diskutieren.

Herr Prof. Henning, Sie haben die Diskussion um die Gefahren einer intensiven Medien- und Computernutzung, ausgelöst durch Spitzers Buch, auf die Learntec geholt. Was war Ihr Anliegen mit der Diskussion 'Digitale Relevanz'?

Peter Henning: Das Thema 'Digitale Relevanz' beschäftigt uns eigentlich schon immer. Der Bundesgerichtshof hat jüngst bestätigt, dass das Internet heute zum täglichen Leben eines jeden Menschen, ob jung oder alt, dazugehört. Dies hat sich in den vergangenen 20 Jahren entwickelt, und die Learntec hat das begleitet. Die Entwicklung des Internets und seine Bedeutung für die Gesellschaft haben dazu geführt, dass auch aus der Bildung der Computer nicht mehr wegzudenken ist. Wir haben allerdings in der Tat das Thema diesmal ein wenig pointierter formuliert, um einen Gegenpol zu populistischen Veröffentlichungen zu setzen. Das stellt die Position klar, die wir seit 21 Jahren vertreten: Digitale Medien sind relevant.

Prof. Vorderer, Manfred Spitzer postuliert, dass sich das Hirn, weil es plastisch ist, durch die Mediennutzung verändert, allerdings spricht er nur von einer Veränderung zum Negativen. Ist diese These haltbar?

Vorderer: Die ist schon von der Logik her außerordentlich merkwürdig. Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder gehen wir davon aus, dass Medien keine Wirkung haben – die These wird immer wieder mal vertreten – , dann aber haben sie weder eine positive noch negative Wirkung. Oder wir gehen davon aus, dass Medien eine Wirkung haben, und Spitzer gehört zu denjenigen, die behaupten, sie haben erhebliche Wirkungen. Dann müsste er das aber zum Beispiel auch für den Bereich des Lernens unterstellen. Denn Lernen ist auch – wie negative Wirkungen – eine Veränderung im Denken, Fühlen oder Handeln von Menschen aufgrund von  Mediennutzung. In der Medienwirkungsforschung gehen wir heute davon aus, dass Medienwirkungen vorhanden sind, dass sie aber nicht so stark sind, wie wir lange Zeit vermutet haben.

Wenn man die Generationen betrachtet, die heute mit den digitalen Medien arbeiten, lernen und spielen, dann stellt man ein ziemliches 'Gap' fest. Dadurch entstehen viele neue Fragen ...

Henning: Nehmen wir das Thema Schule. Seit 20 Jahren haben wir Computer in der Schule, und die Lehrer haben immer geglaubt: 'Irgendwann wird uns schon das Kultusministerium oder der liebe Gott sagen, was wir damit zu machen haben, und irgendwann dann wird der digitale Abstand zwischen Lehrern und Schülern wieder kleiner.' Plötzlich aber, seit wenigen Jahren, wird dieser Abstand wieder größer. Schüler, Jugendliche, Kinder entfernen sich radikal schnell aus der medialen Landschaft ihrer Eltern und Lehrer – über Smartphones, über ständigen Internetzugang, über Kom-munikationswege, die es vor Kurzem noch nicht gab, über soziale Netzwerke – und die Menschen reagieren plötzlich mit Panik, mit Angst: Was ist das für eine Welt? Werde ich ausgeschlossen aus dieser Welt? Wieso sind diejenigen, die eigentlich meine Schützlinge sind, plötzlich weit weg von mir? Diese Ängste gilt es aufzunehmen und zu diskutieren. Nicht aber auf diesen Ängsten auch noch zu reiten, sie auszunutzen und in Alarmgeschrei auszubrechen.

Prof. Vorderer, vor welchen neuen Herausforderungen stehen denn die Lehrenden?

Vorderer: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, dass die Erwartungen der Lernenden heute ganz andere sind. Die Lernenden lassen sich heute nicht mehr so leicht abspeisen mit jemandem, der ihnen etwas vermittelt, was ihnen keinen Spaß macht. Sie sind gewohnt, etwa bei der Mediennutzung, aktiv die Inhalte auszusuchen, die ihnen am besten gefallen, und sie nicht nur wahrzunehmen und zu inhalieren, sondern sie mitzugestalten. Lehrende müssen dieses Bedürfnis und diese Erwartungshaltung aufgreifen, wenn sie noch zu den Lernenden durchdringen wollen. Von daher, das sehen wir allenthalben, sind neue Lehr- und Lernangebote viel stärker an den Interessen und Bedürfnissen der Lernenden orientiert. Sie sind es aber für meine Begriffe zu häufig noch an der Oberfläche: Die Lehrenden glauben, wenn sie die Lernenden nur in eine gute Stimmung versetzen, dann ist alles in Ordnung. So richtig durchschaut oder umgesetzt ist meines Erachtens noch nicht, was man tun muss, um einen Lerninhalt so zu präsentieren, dass es wirklich Freude macht, ihn zu bearbeiten und mit ihm weiterzukommen.

Was zum Beispiel macht denn ein Lernangebot derart attraktiv?

Vorderer: Zum Beispiel, dass ich es mitgestalten kann, dass ich mich dabei als kompetent erfahre, dass ich merke, dass das, was ich mache, nicht ohne Konsequenz bleibt, dass ich sehe, dass diese Konsequenz zu weiteren Konsequenzen führt, dass es also nicht beliebig ist, sondern dass es eine Rolle spielt, was ich lerne – all das sind Dinge, die dafür sorgen, dass Lernen Spaß macht. Es geht nicht nur darum, Wissen in den Kopf zu bekommen, sondern es geht auch darum, sich als kompetenter Lerner zu erfahren. Dann macht Lernen auch Freude.

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