Deutschland ist auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Doch zu viele Einwanderer arbeiten in Jobs, die ihrer Qualifikation nicht entsprechen. Claas Triebel will dieser Potenzial-Verschleuderung mit einer neuen Beraterfortbildung entgegenwirken. Was die auszeichnet, erklärt der Wirtschaftspsychologe im Interview.
Was haben Zuwanderer bis dato an Unterstützung in Sachen Karriereberatung zu erwarten, wenn sie hier arbeiten wollen, aber noch keinen Arbeitsvertrag in der Tasche haben?Dr. Claas Triebel: Es kommt darauf an, an wen der Zuwanderer gerät. Es gibt auch heute schon viele hoch engagierte Personen, zum Beispiel in den Arbeitsagenturen, die Menschen mit Migrationshintergrund beraten – und auch gut beraten. Aber es ist sehr vom Zufall abhängig, ob der Einwanderer an so jemanden gerät.
Sie haben nun ein Fortbildungskonzept für Karriereberater entwickelt, das, wie Sie es ausdrücken, migrationssensibel ist. Inwiefern haben Migranten einen besonderen Beratungsbedarf?Zunächst ist die Notwendigkeit einer Beratung exorbitant höher. Das Klischee vom Physiker, der im Parkhaus als Wächter arbeitet, und von der Ärztin, die als Pflegekraft tätig ist, stimmt leider noch zu häufig. Das Problem ist: Trotz vieler Verbesserungen, die der Gesetzgeber im Frühjahr 2013 eingeführt hat, gibt es immer noch eine Menge amtlicher Hürden, bevor die Arbeitserlaubnis erteilt wird, bestehende Berufsabschlüsse anerkannt werden usw. Viele Zuwanderer geben sich zu rasch damit zufrieden, langfristig unterhalb ihres Qualifikationsniveaus zu arbeiten.
Woran liegt das?Viele fühlen sich den Behörden gegenüber machtlos. Was dadurch verstärkt wird, dass sie sich in einer Identitätskrise befinden. Wenn man von woanders kommt, lässt man viel von seiner Identität zurück, das Selbstwertgefühl ist oft destabilisiert. Das liegt einerseits daran, dass es schwer ist, sich in einer fremden Kultur zurechtzufinden, andererseits aber eben auch daran, dass es einen Cut in der Berufsgeschichte gibt. Klar, für jemanden, der schon einen Arbeitsvertrag in der Tasche hat, wenn er hierher kommt, stellt sich das Problem nicht. Aber schon dann, wenn jemand seinen Ehepartner ins Ausland begleitet und deshalb seinen Job im Heimatland aufgegeben hat, kann es problematisch werden. Ganz zu schweigen von denen, die aus einem Land geflüchtet oder vertrieben worden sind.
Wie kann eine spezialisierte Karriereberatung da helfen?Indem sie den Umgang mit biografischen Umbrüchen und Laufbahnübergängen besonders forciert. Es geht darum, den roten Faden in der Biografie für den Klienten herauszuarbeiten und so die Kontinuität und Kontingenz wieder herzustellen, die der Klient verloren hat. Was kann vom alten ins neue Lebensumfeld mitgenommen werden? Welche informellen Kompetenzen, welche Werte, Themen, Präferenzen ziehen sich durch das Leben des Klienten?
Klingt nicht so anders als die übliche Karriereberatung.Ja, stimmt, zumal der Umgang mit biografischen Umbrüchen etwas ist, das immer mehr Personen in unserer Gesellschaft betrifft – auch solche ohne Migrationshintergrund. Dennoch gibt es bei der Beratung ausländischer Klienten eine Spezifik, die in den üblichen Beraterausbildungen unberücksichtigt bleibt: die Interkulturalität. Manche denken ja sehr schlicht: Ich bin interkulturell offen, denn ich behandle alle gleich. In der Fortbildung, die wir entwickelt haben, ist deshalb ein großer Teil der Ausbildungszeit dem Aufbau von interkultureller Sensibilität gewidmet.
Was verstehen Sie unter interkultureller Sensibilität? Für uns bedeutet interkulturell sensibel zu sein, vor allem, mit kulturellen Überschneidungssituationen umgehen zu können. Trägt eine Klientin beispielsweise ein Kopftuch, reagieren manche darauf leider sofort unterschwellig aggressiv. Es geht darum, zu lernen, solche Gefühle an sich wahrzunehmen und sie kritisch zu hinterfragen. Die Teilnehmer sollen ihre Werthaltungen in Bezug auf deren kulturelle Prägung reflektieren und auch eigene Fremdheitserfahrungen thematisieren, um sich besser in die Lage der Migranten einfühlen zu können. Außerdem geht es um praktische Aspekte wie das Einüben eines Sprachniveaus, das nicht infantilisierend ist, aber auch nicht zu komplex. Und dann haben wir ein Set von Tools entwickelt, mit dem der Berater dem Klienten helfen kann, seine Intentionen zu erkennen und zu aktivieren, Kompetenzen herauszuarbeiten, Ziele festzustecken usw. Denn das Schlimmste überhaupt ist, wenn jemand seine persönlichen Wünsche in der Migrationssituation einfach fallen lässt und sagt: Egal, ich arbeite irgendwas. Wir hoffen, dass dies dank besser ausgebildeter Berater in Zukunft seltener geschieht.