Für Wirbel in der Coaching-Branche sorgt derzeit ein Merkblatt für Coaches, das der internationale NLP-Verband INLPTA publiziert hat. In Zusammenarbeit mit dem Münchener Anwalt Dr. Martin Böttger haben die Leiter der INLPTA-Deutschland-Dependance Bert Feustel und Iris Komarek einen Leitfaden zusammengestellt, der Coaches davor bewahren soll, sich a) mit fremden Federn zu schmücken und b) in fremden Territorien zu wildern. Kurzum: Das Blatt weist die Berater darauf hin, dass die Berufsbezeichnung Psychotherapeut für sie tabu ist, wenn sie keine Psychotherapeuten-Zulassung vorzuweisen haben, und es will ihnen aufzeigen, wie sie es vermeiden können, in die professionellen Gefilde von Psychotherapeuten und Heilpraktikern zu geraten. Es richtet sich vorwiegend an Coaching-Newcomer, aber auch an alte Hasen, die - das jedenfalls ist Feustels Beobachtung - durchaus oft im Unklaren darüber sind, wo sie die Grenzen zur Therapie überschreiten.
Das Problem tritt allerdings eher im Bereich der Lebensberatung denn im Business-Coaching auf, weiß der NLP-Experte: 'Gerade im so genannten Live-Coaching, das z.B. auch Studenten mit Prüfungsangst oder Hausfrauen mit Eheproblemen in Anspruch nehmen, kommt es immer wieder vor, dass ein Titel wie Psychotherapeut fälschlich geführt wird', so Berater Feustel. Bei den Business-Coach-Experten ruft dies Problem indes eher Achselzucken und Gähnen hervor: 'Dass ein Coach sich nicht Psychotherapeut nennen darf, wenn er keine entsprechende Ausbildung und Zulassung hat, ist doch sowieso klar', kommentiert beispielsweise Christopher Rauen, Vorstandsmitglied des Deutschen Bundesverbandes Coaching. Auch Markus Kringe, Koordinator der Schlichtungsstelle des Deutschen Verbandes für Coaching und Training (dvct), fragt sich, warum die INLPTA glaubt, eine solche Selbstverständlichkeit nochmals betonen zu müssen. 'Aus meiner Erfahrung kann ich nicht bestätigen, dass Coaches, die sich ungerechtfertigt mit dem Therapeutentitel schmücken, ein besonderes Problem sind', so Kringe.
Was die Gemüter dagegen mehr erregt, ist ein Punkt im Merkblatt, der darüber Auskunft gibt, was Coaches dürfen und was sie nicht dürfen. Stein des Anstoßes ist vor allem folgender Satz: 'Coaches sollten die Anwendung jeglicher, insbesondere auch wissenschaftlich anerkannter Verfahren aus dem Bereich der Psychotherapie (einschließlich auch nur teilweise wissenschaftlich anerkannter so genannter Außenseiterverfahren) vermeiden, da dies den Rückschluss auf eine unzulässige Tätigkeit als Psychotherapeut ermöglichen könnte.' Da stellt sich natürlich die Frage, ob Coaches etwa statt dessen auf wissenschaftlich fragwürdige Methoden zurückgreifen sollen oder vielmehr: was sie denn überhaupt anwenden dürfen. 'Handelt z.B. jemand illegal, wenn er einer Freundin ein Gespräch anbietet, welches den humanistischen Werten von Carl Rogers entspricht?', fragt beispielsweise Rauen.
Erlaubt? Verboten? Das Merkblatt regt zum Nachdenken darüber an
Bert Feustel selbst räumt ein, dass der Absatz, den der von ihm hinzugezogene Anwalt auf Basis der Gesetzeslage formuliert hat, in der Praxis mehr Fragen als Antworten aufwirft. Denn schließlich sind die meisten Methoden, mit denen Coaches arbeiten, dem therapeutischen Bereich entlehnt. 'Ich halte es generell für sicherer, sich an den erlaubten Inhalten bzw. Situationen eines Coachings zu orientieren', sagt Feustel deshalb. Das Merkblatt will auch in dieser Hinsicht für Aufklärung sorgen: Es listet unzulässige und zulässige Coaching-Inhalte.
Unzulässig ist z.B. die Diagnose und Behandlung von Suchtkrankheiten, Allergien und Phobien. Zulässig sind unter anderem Entspannungstechniken, Motivationstraining, Entscheidungstraining. Doch auch hier lässt das Merkblatt viele Fragen offen: Wieso beispielsweise stehen Schlafstörungen auf der Seite erlaubter Coaching-Inhalte, während psychosomatische Beschwerden auf der verbotenen Seite stehen? Schließlich können, das weiß auch Feustel, Schlafstörungen ebenso ein profanes Problem wie eine ernsthafte psychosomatische Störung sein.
Das Merkblatt verweist daher auch auf mögliche Einschränkungen und Bedingungen der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit, die jeweils im Einzelfall rechtlich geprüft werden müssen - etwa, ob der Coach einen Heilpraktikerschein hat oder nicht. Das zeigt schon, dass es letzten Endes doch nur auf eines ankommt: Die persönliche Urteilsfähigkeit des Coaches, der erkennen muss, wann er einen Fall abzugeben hat. Ob dabei ein Merkblatt wie das vorliegende hilft? Laut Feustel soll es den Coaches zumindest in Erinnerung rufen, dass sie schnell Gefahr laufen, sich auf juristisch unsicheres Terrain zu begeben. 'Wenn auch vieles so oder so interpretiert werden kann: Das Blatt macht Coaches darauf aufmerksam, dass sie in ihrer Arbeit darauf Acht geben müssen, wo sie eventuell Grenzen überschreiten.'
Zu sensibilisieren ist auch aus Sicht von Markus Kringe ein hehres Anliegen, doch zweifelt der dvct-Schlichtungsstellen-Koordinator den praktischen Nutzen ob der großen Interpretationsspielräume an: 'Uns vom dvct erscheint es wichtiger, dass Coaches im Fall des Falles, also, wenn sie sich unsicher darüber sind, ob ein Klient besser in therapeutische Hände gehört, z.B. auf Supervision und kollegiale Beratung zurückgreifen.'
Das Merkblatt kann per E-Mail angefordert werden.