'In dem Restaurant habe ich selbst schon ein paar Mal gegessen', erzählt Gerd Gerdes. Gestern Nacht aber ist er an dem exklusiven Lokal in der Hamburger Innenstadt vorbeigegangen. Er hat nicht mit den wohlhabenden und gut angezogenen Menschen gespeist, die er durch die Fenster beobachten konnte. Stattdessen hat er sich um einen Obdachlosen gekümmert, der nur ein paar Meter weiter auf ein paar alten Kartons saß. Er brachte ihm Tee und eine Decke. Der ältere Mann mit den verfilzten Haaren und den vom Straßendreck verkrusteten Händen bedankte sich freundlich.
Gerd Gerdes, 57 Jahre alt und Personalleiter bei Airbus Bremen, war in Hamburg mit dem Mitternachtsbus unterwegs, der Obdachlose 'auf der Platte' versorgt. Die Begebenheit vor dem noblen Restaurant ist für ihn das perfekte Symbol für sein Praktikum in der Bahnhofsmission am Hamburger Hauptbahnhof. 'Dieses Bild wird sich in mein Gedächtnis eingraben', sagt er. 'Wie ich mit diesem Pappbecher in der Hand an dem Restaurant vorbeigegangen bin und auf den Obdachlosen zu ...', beschreibt er die Szene noch einmal. 'Ein richtiger Seitenwechsel eben.'
Seitenwechsel heißt auch das Programm, an dem der hoch gewachsene Manager mit den grauen Haaren derzeit teilnimmt. Dabei handelt es sich um eine Initiative der Hamburger 'Patriotischen Gesellschaft von 1765'. Diese vermittelt Führungskräften aus der Wirtschaft einwöchige Praktika in einer sozialen Institution - einem Sterbehospiz, einem Obdachlosenheim, einer Drogenberatungsstelle oder eben in einer Bahnhofsmission. Das Ziel des Programms: In der ungewohnten Umgebung und beim Umgang mit mittellosen, süchtigen oder sterbenden Menschen sollen die Manager über sich selbst und ihr Führungsverhalten nachdenken und ihre sozialen Kompetenzen trainieren.
Extras:
- Termine der Marktbörsen, auf denen die Patriotische Gesellschaft Praktikumsplätze für 'Seitenwechsler' vorstellt
- Service: Links zu fünf Agenturen und Vereinen, die Sozialpraktika für Führungskräfte vermitteln sowie zu zwei Artikeln zum Thema Corporate Volunteering