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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Martin Wehrle aus managerSeminare 313, April 2024
„Was haben Sie im Verlauf der vergangenen Arbeitswoche an Ihren Teammitgliedern beobachtet?“ Wer diese Frage einer Führungskraft stellt, hört Antworten wie: „Bei Susanne ist mir aufgefallen, dass sie sich verzettelt. Sie sollte unkomplizierter arbeiten. Lennart lässt sich leicht ablenken. Er ist gerade an einem wichtigen Projekt, aber ich habe ihn mehrfach in der Kaffee-Ecke gesehen. Und Thomas macht die Dinge kompliziert und sieht Probleme, wo keine sind.“
Was fällt Ihnen an diesen Beobachtungen auf? Genau, es sind keine Beobachtungen, sondern Urteile. Natürlich gehört es zur Aufgabe einer Führungskraft, über die Qualität der Arbeit und des Teams zu urteilen. Aber je mehr eine Person urteilt, desto mehr verengt sich ihr Blick und desto weniger erfährt sie – als Führungskraft zum Beispiel über die Motive der eigenen Teammitglieder.
Im Coaching gibt es eine einfache Methode, die helfen kann, vom Urteilen aufs Beobachten umzuschalten: der Forscher-Tag. Die dazugehörige Aufgabenstellung: Stellen Sie sich einen Arbeitstag lang vor, Sie wären ein Forscher oder eine Forscherin, also eine Person in neutraler Beobachtungsrolle, die alles über die besonderen Menschenexemplare an diesem Arbeitsplatz herausfinden will: Was genau tun sie? Wie tun sie es? Warum tun sie es? Schauen Sie hin, hören Sie hin, seien Sie neugierig – aber urteilen Sie nicht.
Wer sich darauf einlässt, wird schnell merken, wie schwer das ist: nicht zu urteilen. Aber entspannend ist es auch. Denn Urteilen kostet Energie, Beobachten passiert von allein und macht schlau. Nehmen wir Kollege Lennart aus dem Anfangsbeispiel, der trotz dringender Arbeit öfter in der Kaffee-Ecke auftaucht. Als Forscherin würde sich die Führungskraft vielleicht fragen: Aus welchen Gründen sucht er das Gespräch mit den anderen? Kann es sein, dass dieser informelle Austausch auch für sein Projekt wichtig ist? Welches Bedürfnis befriedigt er durch die Gespräche: Geht es ihm um Zugehörigkeit, um Zerstreuung oder um sachlichen Austausch? Und wer steht dort eigentlich zusammen, was sagt das über die Dynamik des Teams aus? Was verraten die Gesichter über die Stimmung?
Durchs Nicht-Beurteilen und gleichzeitiges ergebnisoffenes Fragen wird der Forschertag zum Abenteuer, bei dem sich viel Neues über das alte Umfeld lernen lässt. Das gilt erst recht, wenn die „Forschenden“ ihre eigenen Fragen nicht nur durch Spekulation beantworten, sondern das Gespräch mit den Menschen suchen. Im Forscher-Modus könnte die Beispiel-Führungskraft Lennart etwa fragen: „Erzähl mal, was dir mit Blick auf dein Projekt so durch den Kopf geht.“ Oder: „Was ist am reizvollsten für dich an diesem Projekt?“, „Woran merkst du oder würdest du merken, dass es gut läuft?“, „Wer liefert dir die beste Unterstützung?“ Und: „Worin siehst du das größte Hindernis?“
Wer bei den Antworten auf solche Fragen genau hinhört, wird wahrscheinlich einen guten Grund entdecken, warum jemand einen scheinbar komplizierten Arbeitsweg einschlägt oder den Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen in der Kaffee-Ecke sucht. Vor allem dann, wenn er oder sie es sich angewöhnt hat, vom Urteilen aufs Beobachten umzuschalten – denn Menschen öffnen sich umso mehr, je weniger sie sich beurteilt fühlen.
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