Der erste Weg führt immer in die Halle. Die Halle misst rund 400 Quadratmeter, ist damit halb so groß wie das Lager des mittelständischen Unternehmens. An den Wänden stehen Eimer mit Bürsten und Schwämmen, Schläuche ragen aus dem Beton, die in Hochdruckdüsen münden. Sobald ein Auto einrollt, kommt Leben in die Waschstation. Von den Felgen über den Fahrzeugunterboden bis zu den Filzbezügen der Sitze wird der Wagen auf Hochglanz gebracht. Dann, und erst dann, fährt der Außendienstler das Firmenfahrzeug auf den Parkplatz vor dem Eingangsportal. Es dort schmutzig abzustellen würde er nie wagen. Das wäre ein Sakrileg. 'Das sofortige Waschen des Firmenautos nach jeder Nutzung ist ein Ritual, dessen Bruch nicht nur schiefe Blicke, sondern sogar ein ernstes Gespräch mit dem Inhaber nach sich ziehen kann.'
Das berichtet Dr. Susanne Spülbeck. In besagter Firma hat sie Feldforschung betrieben, das heißt, rituellen Verhaltensweisen nachgespürt, die Aufschluss über – wie sie sagt – die verborgenen Strukturen des Systems geben. Spülbeck ist geschäftsführende Inhaberin des Kölner Unternehmens Blickwechsel, das sich als organisationsethnologisches Forschungs- und Beratungsinstitut mit der Bedeutung von Ritualen in Unternehmen beschäftigt. Als Organisationethnologin ist Spülbeck unter Beratern zwar ein Exot – gerade einmal eine Handvoll Menschen arbeiten in Deutschland in dieser Profession. Gleichwohl trifft die Unternehmerin mit ihrem Thema einen Trend.
Befanden sich Rituale in Unternehmen lange Zeit auf dem Rückzug, hat sich diese Entwicklung mittlerweile umgekehrt. Es wird wieder mehr inszeniert und zelebriert, Beförderungen und Verabschiedungen etwa, die über Jahre eher banal über die Bühne gingen, werden vielerorts abermals in rituellem Rahmen ausgerichtet.
Extras:- Rituale in Unternehmen: Welche Arten von Ritualen es in Unternehmen gibt und welchen Zweck sie erfüllen
- Literaturtipps: Kurzrezensionen von drei Büchern über Rituale und Hinweis auf einen Fachartikel über den Beruf des Organisationsethnologen