Was bedeutet die Finanzkrise für die Unternehmen, insbesondere für die Personalarbeit? Welche Herausforderungen kommen auf die Personaler zu? manage_HR hat die Einschätzungen von HR-Experten eingeholt.
Prof. Dr. Armin Trost, Professor für Human Resource Management an der Hochschule Furtwangen sowie Mitgesellschafter der Unternehmensberatung Promerit AG, Frankfurt/München: 'Werden die Ressourcen knapper, müssen sich Unternehmen auf das Wesentliche konzentrieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Das bedeutet für HR als Businesspartner: Krisen erfordern eine stärkere Ausrichtung der Personalarbeit auf strategisch wichtige Schlüsselfunktionen im Unternehmen, auf eben solche, die einen besonders großen Einfluss auf dessen Lebensfähigkeit ausüben. Das ist wie beim menschlichen Körper in Stresssituationen: Dieser konzentriert sich auf die in der akuten Situation überlebenswichtigen Körperfunktionen.
So werden wir erleben, dass Unternehmen trotz turbulenter Zeiten für bestimmte Bereiche Mitarbeiter suchen und einstellen, während sie sich an anderer Stelle von ihnen trennen. Dementsprechend schaffen HR-Verantwortliche für bestimmte Mitarbeitergruppen Anreize, das Unternehmen zu verlassen, während sie parallel versuchen, wichtige Mitarbeiter in Schlüsselfunktionen mithilfe besonderer Anreize zu halten. Dieses Verhalten ist notwendig, strategisch und zukunftsorientiert, aber auf den ersten Blick widersprüchlich und auf jeden Fall nach innen wie nach außen schwer vermittelbar. Hier bedarf es neben einer klaren strategischen Ausrichtung eines hohen Maßes an sensibler Kommunikation.
Zugleich wird man versuchen, Mitarbeiter in strategisch wichtige Projekte und Funktionen zu vermitteln. Das erfordert vonseiten des Personalmanagements Prozesse und Fähigkeiten, die man an sonnigen Tagen weder entwickelt noch erlernt hat. Wo das Personalmanagement bisher keine strategische Bedeutung hatte, wird es nun dazu gezwungen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich HR in panischem Aktionismus verzettelt.
Zu den wesentlichen Aufgaben von HR wird ein gutes, internes Marketing der Schlüsselfunktionen gehören, flexible Wechselregelungen, eine interne Vermittlung im Sinne einer internen Personalberatung sowie gute Weiterbildungskonzepte. Je nach Größe des Unternehmens helfen außerdem Technologien, die Transparenz über verfügbare Mitarbeiter und zu besetzende Projekte schaffen.'
Torsten Groth, Geschäftsführer des Management Zentrums Witten (MZW) und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU): 'Aktuell ist es kaum möglich, die Folgen der Finanzkrise abzusehen, und vielleicht ist diese grundlegende Verunsicherung die Besonderheit der einsetzenden Krise. Keiner weiß, was alles noch kommen wird, keiner weiß, worauf er sich noch verlassen kann. Insofern ist die Finanzkrise sicher mehr als eine Finanzkrise (und auch mehr als eine Weltwirtschaftskrise), sie ist eine Krise des Denkens.
Für die HR-Verantwortlichen heißt das, neben dem Starten bekannter Routinen, um auf die sinkenden Etats zu reagieren, auch die Prämissen des Denkens zu überdenken: Was sind die bisher für unumstößlich gehaltenen 'Wahrheiten', was sind die Planungs- und Rationalitätsvorstellungen des HR-Managements, die ebenso schnell und dramatisch 'crashen' könnten, wie die Annahme des Kapitalmarktes und der Business-Schools? Die Frage der Zukunft wird sein: Wie können wir das Unerwartete managen?
Eines zeichnet sich ab: Die Krise hervorgerufen haben Unternehmen, die sich den Spielregeln des Börsenkapitalismus unterworfen haben. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf die Erfolgsprinzipien von Familienunternehmen: Diese richten ihre Entscheidungen eher am langfristigen Überleben aus denn am kurzfristigen Profit. Die Führungskräfte und Mitarbeiter weisen weitaus längere Zugehörigkeiten auf, und die Eigentümer haften mit ihrem Vermögen für die Entscheidung. Das HR-Management sollte sich daher aufgerufen fühlen, die Erfolgsprinzipien des langfristigen Denkens und der Haftung der beteiligten Akteure in seinem Tätigkeitsbereich anzuwenden.'
Prof. Dr. Heike Bruch, Direktorin des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen: 'Die KfW-Bankengruppe hat in einer Untersuchung Ende November 2008 festgestellt, dass sich der deutsche Mittelstand gut vorbereitet der Rezession stellen kann. Hierzu trägt eine gesteigerte Eigenkapitalquote, aber vor allem eine hohe Aktivität auf den internationalen Märkten bei. Die 800.000 Unternehmen, die auch im Ausland aktiv sind, weisen eine höhere Produktivität und Innovationsaktivität auf als ihre Mitbewerber. Aus den Studienergebnissen ergibt sich eine zentrale Handlungsempfehlung für das Human-Resource-Management im Mittelstand in der Finanzkrise: gezieltes Energiemanagement betreiben. Damit die deutschen Mittelständler auch in Krisenzeit ihre Stärken konsequent nutzen und ausbauen können – sich also neue Märkte und Kunden erschließen –, müssen sie sich auf engagierte Mitarbeiter verlassen können, die mitdenken und sich voller Energie für das Unternehmen einsetzen.
Die Personalverantwortlichen können dies durch drei zentrale Aufgabenfelder sicherstellen: 1. Die Geschäftsleitung bei der Mobilisierung von produktiver Energie unterstützen – etwa bei der Vermittlung einer klaren Vision oder der Kommunikation der zentralen Herausforderungen im Unternehmen. 2. Die Führungskompetenz im Unternehmen durch gezielte Trainingsmaßnahmen ausbauen, da nur mittels einer effektiven Führung, die über reine Zielvereinbarung hinausgeht, dauerhaft starkes Engagement und hohe produktive Energie im Unternehmen erhalten werden können. 3. Gezielt negative Emotionen abbauen, um Resignation im Unternehmen zu verhindern. Gerade während wirtschaftlich schwieriger Zeiten können negative Wettbewerberbeispiele oder Rückschläge, die das eigene Unternehmen verkraften muss, zu starker Frustration, innerem Rückzug bis hin zu einer Lähmung unter den Mitarbeitern führen. Hier müssen Personalverantwortliche aktiv gegensteuern. Wenn das Human-Resource-Management diese drei Aufgabenfelder erfolgreich meistert und fortlaufende Fortschrittskontrollen durchführt, schafft es eine wesentliche Grundlage zur Bewältigung der Krise.'
Prof. Dr. Frank Wallau, kommissarischer Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung, Bonn: 'Dass auf die Personaler des Mittelstandes besondere Herausforderungen zukommen, steht außer Frage. Wir haben im Rahmen unseres BDI-Mittelstandspanels im Herbst 2008 deutsche mittelständische Industrieunternehmen zu ihrer wirtschaftlichen Lage befragt. Dabei hat sich gezeigt, dass für die Herbstmonate zwar noch positive Einschätzungen überwogen, die Erwartungen für die erste Jahreshälfte 2009 jedoch deutlich pessimistischer aussehen. Dementsprechend werden sich auch die Anpassungsmaßnahmen in den Personalabteilungen gestalten. Es stehen kurzfristig umsetzbare Maßnahmen auf dem Plan, wie etwa das Abschmelzen von Überstundenkonten und die Freisetzung von Leiharbeitern sowie befristet Beschäftigten. Maßnahmen, die sich auch auf die Liquidität der Unternehmen positiv auswirken. Die Unternehmen wollen jedoch versuchen, auch aufgrund des Fach- und Führungskräftebedarfs, an ihrer Stammbelegschaft festzuhalten. Lediglich 14 Prozent gaben in der Befragung an, unbefristet Beschäftigte freisetzen zu müssen. Damit blieben sie immerhin ihrer Frühjahrsprognose weitgehend treu.
Ob die Unternehmen des industriellen Mittelstandes den guten Vorsatz realisieren können, die Stammbelegschaft auch im kommenden Jahr zu halten, scheint mit Blick auf die pessimistische Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftslage und der aktuellen Wachstumsprognosen fraglich. Denn Experten gehen für 2009 von einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes zwischen minus 2 Prozent und minus 0,8 Prozent aus, wobei die Prognosen der vergangenen Zeit allerdings nur eine kurze Halbwertszeit hatten. Sicher ist: 2009 wird es zu Einschnitten kommen, und die Personaler sind gefordert, diese Situation zu managen. Wie tief die Einschnitte sein werden, hängt letztlich von der Dauer der nachfragebedingten Wachstumsschwäche ab.'
Dr. Walter Jochmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kienbaum Management Consultants GmbH, Gummersbach: 'Personalarbeit in wirtschaftlichen Krisenzeiten muss sich an Faktoren wie Kurzfristigkeit, Wirksamkeit für den Unternehmenserfolg, Beitrag zum Kostenmanagement, Flexibilisierung der Ist-Personalkörper und Stabilisierung von Leistungstreibern messen lassen. Somit gibt es in 2009 kein 'Business as usual', Personalbereiche müssen sich intensiv mit den Personalkapazitäten und Personalkosten auf Unternehmensebene beschäftigen und hier intelligente Umschichtungen, Flexibilisierungen und notfalls auch Anpassungen vornehmen. Als Vorbild müssen sie selber ihre Effektivität und Effizienz hinterfragen und mit einem prägnanten Ziel- und Maßnahmenprogramm ihren eigenen Beitrag zur Unternehmensführung in unruhigen Zeiten dokumentieren. Sie werden Veränderungen auf der Strategie- und Organisationsebene begleiten, Mitarbeiter für neue Aufgaben beurteilen und qualifizieren, unangenehme Veränderungen glaubhaft kommunizieren. Ein wesentlicher Hebel ist die Unterstützung von Innovationen, insbesondere im Vertrieb. Die Weiterbildungskosten sind zu konzentrieren auf die wirksamen Hebel für den Unternehmenserfolg.
Neben diesen Kurzfristmaßnahmen gilt es aber auch, 'für die Zeit danach' Stabilität und Langfristigkeit in der Personalarbeit sicherzustellen. Kurzfristige Entlassungen und dann wieder Neueinstellungen, Krisenprogramme unter Gefährdung der aktuellen Leistungsträger, das Wegrationalisieren von strategisch bedeutsamen Personalfunktionen sind kontraproduktiv. Neben Krisenmanagement ist von Personalbereichen zu fordern, dass sie das Unternehmen als einen attraktiven Arbeitgeber für die bestehende Mannschaft und für den Bewerbermarkt weiterhin pflegen. Es gilt, Schlüsselkräfte zu binden, Vergütungssysteme nicht nur einseitig nach unten zu fahren, keine Kompromisse bei der Besetzungsqualität von Top-Positionen zuzulassen. Im Rahmen einer langfristigen Personalplanung ist herauszuarbeiten, welche Fähigkeiten und welche Jobgruppen unangetastet oder gar ausgebaut werden müssen, um die zukünftigen Geschäftsmodelle des Unternehmens sicherzustellen.
Der Personalbereich muss sich in unruhigen Zeiten als Business-Partner positionieren, die wichtigen Entscheidungsprozesse auf Unternehmensebene mit personalwirtschaftlichem Know-how mitgestalten und sich als akzeptierter Teil der Gesamtführung mit Geschäfts- und Strategieblick etablieren.'
Prof. Dr. Wolfgang Jäger, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personal- und Unternehmensführung, an der Fachhochschule Wiesbaden: 'Der Personaler im rauen Wetter einer Wirtschaftskrise ähnelt einem guten Steuer- und Bootsmann auf schwerer See: Kurs halten und seine Ladung gut verzurren, so dass wichtige Aufgaben des Personalmanagements nicht leichtfertig über Bord gehen. Das Kurshalten gilt insbesondere für den Personalbestand. Hier gilt es, die in der Vergangenheit oft zu beobachtenden, sich abwechselnden Entlassungs- und Einstellungsrallyes zu vermeiden. Den Geschäftsleitungen ist vorzurechnen, dass eine stabile Fahrt auch in unruhigen Gewässern dauerhaft mehr Erfolg bietet. Wer in der Krise die Attraktivität seiner Arbeitgebermarke leichtfertig aufs Spiel setzt, wird das im nächsten Aufschwung wieder teuer bezahlen müssen. Diese Erfahrung gilt insbesondere in engen, vor allem aber auch in regionalen Beschaffungsmärkten. Ähnlich verhält es sich mit den Investitionen in die Aus- und Weiterbildung. In Krisenzeiten wird hier oftmals schnell der Rotstift angesetzt. Wer so reagiert, dem fehlen bald die entsprechenden Qualifikationen in seinem Unternehmen, um in einem immer schärfer werdenden Wettbewerb erfolgreich bestehen zu können. Gerade Zeiten, in denen in manchen Teilfunktionen nicht Vollbeschäftigung herrscht, sind ideal für den Qualifikationsaufbau.
Nicht zuletzt muss der Personaler ein besonderes Augenmerk auf die Grundstimmung im Unternehmen legen. Motivationsverlust, nachlassendes Engagement oder ein breites Stimmungstief sind alarmierende Indikatoren für einen nachlassenden Unternehmenserfolg. Hier gilt es, seitens des Personalmanagements mit einer effizienten und effektiven Mitarbeiterkommunikation rechtzeitig gegenzusteuern.'