Herr Jochmann, beobachten Sie eine Verschiebung der Arbeit der Personaler durch die Krise? Dr. Walter Jochmann: Ja, klar. In allen großen Konzernen gibt es nicht nur Einsparappelle, sondern ganz konkrete Einsparlisten und Einsparaufgaben. Und dadurch, dass der Personalkörper in vielen Unternehmen zehn bis zu 40 Prozent des gesamten Kostenapparates ausmacht, legen Personaler jetzt den Fokus auf die Themen Struktur der Personalkosten, Flexibilisierungsmöglichkeiten, was Arbeitszeiten und das partielle, monatsbezogene Ausscheiden von Mitarbeitern angeht, aber auch das genaue Ausrichten der variablen Vergütung auf monetäre Ziele. Es wird ganz klar erwartet, dass bei rückgängigen Erlösen zumindest eine lineare Beziehung zu den Boni – nicht nur der Führungskräfte, sondern auch in weiten Teilen der Mitarbeiter – vorhanden ist. Diese Krise beschäftigt die Personaler sehr stark. Denken Sie auch an das Recruitment, das nicht einfach ist, wenn man mit einem etwas angeschlagenen Image unterwegs ist. Denken Sie an den Aufwand, den sozialverträgliche Abbaumaßnahmen mit sich bringen, denken Sie auch an das Thema Motivation und Kommunikation. Gerade in der Krise kommt es darauf an, der breiten Belegschaft eine Vision zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass diese Vision durch die Geschäftsführung überall richtig ankommt.
Sehen Sie eine Veränderung im Verhalten der Personaler im Vergleich zu der letzten Krise, die nach dem Platzen der New-Economy-Blase passiert ist?Jochmann: Ja, ich sehe eine Professionalisierung. In den Selbstaussagen – dafür gibt es ja eine ganze Reihe von Studien – sehen sich die Personaler sehr gut vorbereitet auf eine Atmungsfähigkeit der Personalressourcen mit Blick auf Zeit und Kosten. Der momentan sehr zurückhaltende Umgang mit betriebsbedingten Kündigungen ist aus meiner Sicht nicht nur auf die profane Aussage, das die Wahl das noch zurückhält und die Politik ihre Einflüsse entfaltet, zurückzuführen. Ich glaube vielmehr, dass nicht nur Personaler, sondern auch die Unternehmensführung erkannt hat: Die Atmungsfähigkeit von Personal ist eine künstliche. Wenn ich heute zehn bis 15 Prozent Personal betriebsbedingt abbaue, mit all den Kosten, die damit verbunden sind, habe ich den Return in eineinhalb Jahren. Wenn wir in eineinhalb Jahren von einer anderen Perspektive ausgehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder erheblichen Rekrutierungsbedarf haben, sehr groß, und ich habe mittlerweile mein Arbeitgeberimage belastet. Es ist sehr viel professioneller, alle anderen Wege auszuschöpfen. Und das wird ja auch getan.
Begreifen Sie die Krise auch als eine Krise des Personalmanagements, da man ja argumentieren könnte, dass die Personaler die Manager ausgebildet und eingestellt haben, die für die Krise verantwortlich sind?Jochmann: Personaler sind nicht die selbstbewussteste Profession unter den Führungs- und Steuerungsfunktionen in den Unternehmen. Es wäre auch zu viel des Einflusses, wenn man ihnen jetzt anlasten sollte, dass sie Mitverursacher sind über die Platzierungen, die sie vorgenommen haben, oder vielleicht auch über die Vergütungssysteme. Die Personaler ringen ja im Grunde genommen um eine Business-Partnerschaft auf Augenhöhe. Ich würde eher sagen, dass manche Fehlentscheidung auf die Nichteinhaltung des Rates von Personalern oder die nicht konsequente Anwendung von Personalsystemen, etwa in der Diagnostik, im Talent-Management und in der Nachfolgeplanung, zurückzuführen ist. Auch der Aufsichtsrat hat hier und da sicher Nachholbedarf, was HR-Kompetenz angeht. Gerade der so wichtige Personalausschuss muss mit Personen besetzt sein, die etwa über Kompetenz in der Rekrutierung, Diagnostik und Vorstandsvergütung verfügen. Ist diese Kompetenz nicht vorhanden, setzt sich das kaskadenförmig in der Unternehmensführung fort.
Sehen Sie in der Krise eine Chance für die Personaler, etwas wettzumachen als strategischer Partner der Unternehmensführung?Jochmann: Ganz klar. Jede Krise ist eine Chance, und sie rüttelt Strukturen auf. Das heißt, jetzt im Augenblick sind Veränderungen durchsetzbar, über die wir vor ein, zwei Jahren überhaupt nicht hätten nachdenken können: in den Personalbereichen selber, aber auch in der Positionierung des Personalbereiches. Personalthemen stehen heute auf der Agenda der Geschäftsführung und der Vorstände: durch ihre Relevanz, nicht nur mit dem Thema 'Personalkosten', sondern auch mit dem Thema 'Change-Management', Mitarbeiter für Veränderungen gewinnen. Diese Chance muss das Personalwesen jetzt nutzen: Mit eigener hoher Kompetenz und Professionalität, Businessnähe, guten, funktionierenden, auch quantitativen Systemen muss es sein Unternehmen in dieser Krisensituation unterstützen und den berühmt-berüchtigten Wertbeitrag liefern, den die Personaler schon seit zehn Jahren reklamieren. Ziehen wir zudem die richtigen Lehren und erkennen die Bedeutung des Personalausschusses im Aufsichtsrat, wird dies auch die Position der Personaler stärken.
Was glauben Sie, welcher Personalertyp sich in der Krise besonders herausbilden wird?Jochmann: Das sind mit Sicherheit nicht klassische Sanierer- und Krisenmanagertypen. Ich glaube, dass es als Personaler in der jetzigen Situation darauf ankommt, zum einen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, Authentizität, Geradlinigkeit, Verlässlichkeit zu zeigen, zum zweiten unprätentiös aufzutreten. Ich glaube, dass die innerlich stabilen, sicheren Personaler, die Langfristigkeit ausstrahlen und die eine strategische Orientierung für das Geschäft kommunizieren können, im Augenblick die besten sind für Unternehmen in deutlichen Veränderungsphasen.
Was raten Sie Personalern, die mit dem Rücken zur Wand stehen und das Gefühl haben, ihnen bleiben nur wenige und kleine Hebel, um die Motivation der Mitarbeiter hochzuhalten?Jochmann: Es ist nicht alles immer nur sehr kostenintensiv. Wir reden über Symbole und über Maßnahmen mit hoher Multiplikation. Viele Qualifizierungsmaßnahmen etwa funktionieren auch innerbetrieblich, in Praxisgruppen on the job durch Mentoren aus dem Unternehmen. Ich muss nicht bei einer Streichung oder wesentlichen Kürzung des externen Seminarbudgets die innerbetrieblichen Lernprozesse komplett auf null fahren. Ich halte sowieso sehr viel mehr von integrierten Weiterbildungsmodellen, in denen die internen Talente und die Führungsnachwuchskräfte als Träger von Qualifikationen stärker eingebunden sind. So etwas ist eher zeit- als ressourcenintensiv, und Zeit ist zumindest in einigen Produktionsunternehmen im Augenblick nicht die enge Ressource. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir die Kommunikationsprozesse im Unternehmen über den Status quo und die Perspektiven fördern müssen: zum Beispiel über Portale, über regelmäßige Führungskräfte-Meetings, über Side-offs nach der Arbeitszeit. Das sind Dinge, die der Personalbereich initiieren und strukturieren kann. Hier ist zudem neben dem Bereich Employer-Branding ein weiterer wichtiger Schnittstellenansatz, bei dem Kommunikation und HR eng zusammenarbeiten sollten. Die Personalabteilung wird jetzt nicht glänzen können mit einem komplett neuen, großen Wurf an neu gestalteten Vergütungssystemen oder an Nebenleistungsprodukten. Die gehören eher in die guten Zeiten. Er wird vielmehr auch unangenehme Maßnahmen kommunizieren müssen, gerade was die Fringe Benefits, was bestimmte Veranstaltungen im Unternehmen und was bestimmte Vergütungskomponenten angeht.