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Die Stunde der Propheten

Schnelllebig ist unsere Wirtschaft und schwer sind die Zeiten. Zum Beispiel für einen Verlag, der die Erfolgsstory eines Managers auf dem Markt bringt - und sich der auf dem Buchdeckel gepriesene 'taktische Geniestreich' des Jürgen Schrempp just zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als handfestes Finanz-Desaster zu entpuppen droht. So gesehen, liefert das Buch des ehemaligen Financial Times-Korrespondenten David Waller über den DaimlerChrysler-Deal unfreiwillig eine Menge Anschauungsmaterial, wie heutzutage unsere Wirtschaftswelt funktioniert - und woran sie bisweilen scheitert. Auch unser noch vor wenigen Jahren beruhigend konservatives Wirtschaftsleben scheint nämlich inzwischen von dem Virus infiltriert, unablässig Events und Pop-Stars zu generieren, die erst abgefeiert und dann zur Strecke gebracht werden.

'Daimler-Benz hat sich einen der attraktivsten Siegerpreise der Branche geschnappt', zitiert Waller das mehr euphorische, denn fachkundige Urteil eines Analysten der Investmentbank JP Morgan. Und er selbst lässt den US-Konzern Chrysler mit den Worten hochleben: 'Einer der rentabelsten und innovativsten Autohersteller der Welt.' Nun, Klappern gehört zum Handwerk könnte man angesichts der rauhen ökonomischen Wirklichkeit Ende 2000 entschuldigend vorbringen. Wo aber ist das Handwerk? Es wird nur noch geklappert.

Superlative sind für Waller auch gerade gut genug, um die persönliche Leistung von Jürgen Schrempp zu beschreiben. Eigentlich sollte ein Wirtschaftjournalist die nötige Distanz zum Geschehen haben. Dies gelingt ihm auch, solange es um Historie, Geschäftsstrategien und Personen im Umfeld von Jürgen Schrempp geht. Sobald jedoch der Vorstandsvorsitzende selbst agiert, gerät Waller in prosaische Verzückung. Da ist kein Detail nebensächlich genug, um es nicht doch zu erwähnen ('Unterwegs singen sie zu einer CD des Tenors Andrea Bocelli.'). Da wird in erschöpfender Ausführlichkeit und mit Anleihen zum Groschenroman jeder einzelne im Tross aufgezählt, dem Schrempp zu dieser und jener Sitzung sein Vertrauen schenkte ('Victor Halberstadt, ein gerissener holländischer Wirtschaftsprofessor, Vernon Jordan, Kenner der Washingtoner Szene und Vertrauter Präsident Clintons...').

Mit Fortdauer der Lektüre drängt sich der Verdacht auf: Viel schlimmer als etwaige Fehler und Fehlentscheidungen eines Jürgen Schrempp ist der unerschütterliche Glaube seiner Umwelt an den Übermenschen und -manager Schrempp. 'Ich will ja nur ein Mensch sein und bleiben', kommentierte der DaimlerChrysler-Boss sympathisch hilflos sein erstes richtiges PR-Fiasko. Da hatten er und seine Begleiter italienische Carabinieri angeheitert und in gepflegtem Proll-Deutsch als 'stupido polizia' beschimpft. Der Mensch Jürgen Schrempp? Der darf nicht wahr sein. Und plötzlich überkommt den Leser aufrichtiges Mitleid.

David Waller: Die Stunde des Strategen. Econ, Düsseldorf 2000, ISBN 3-430-19490-3, 48,- DM.
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