Im November 2013 durften die Mitarbeiter des Schweizer Talentmanagement-Software-Anbieters Haufe-umantis wählen. Und zwar: ihre Vorgesetzten. Selbst in einem Unternehmen, in dem die Mitarbeiter schon seit Längerem über die Einstellung neuer Kollegen entscheiden, war das ein gewagtes Experiment. managerSeminare sprach mit CEO Marc Stoffel über den Ausgang.
Herr Stoffel, die gesamte Führungsriege von Haufe-umantis stellte sich im November 2013 der Wahl durch die Mitarbeiter. Wie lief die Chefwahl ab? Marc Stoffel: Gewählt wurden Leader und Manager in zehn Teams, plus der CEO und der Chief Operating Officer. Es ging um 21 Stellen, von denen einige zum Wahltermin noch nicht besetzt waren. Zuerst wurde jedes Team gefragt: Wer stellt sich bei euch für den Chefposten auf? Sowohl aktuelle Manager wie auch Mitarbeiter haben sich beworben – insgesamt gab es 25 Kandidaten. Oft haben auch Kollegen Vorschläge gemacht bzw. einander dazu aufgefordert, sich aufstellen zu lassen, nach dem Motto: 'Wäre das nicht was für dich?' Im nächsten Schritt sollte jedes Team diskutieren, welche Erwartungen es an seinen Chef hat. Und jeder, der sich zur Wahl aufstellen ließ, hatte die Möglichkeit, sich seinem Team als zukünftiger Leiter zu präsentieren. Die Wahl fand per Stimmzettel auf anonymer Basis statt, wobei die Mitarbeiter auf einer Skala von 'voller Zustimmung' bis hin zu 'kompletter Ablehnung' wählen konnten. Sie hatten außerdem die Möglichkeit, auf dem Stimmzettel Feedback zu geben und ihre Entscheidung zu begründen.
Wie ist die Wahl ausgegangen? Elf Personen wurden als Leader bzw. Manager bestätigt. Sieben Personen wurden neu auf einen Leader- oder Manager-Posten gewählt. Bei drei Stellen wurde entschieden, dass hier intern kein Mitarbeiter in Betracht kommt und extern nach passenden Kandidaten gesucht werden soll. Darüber hinaus wurden drei Kandidaten, die sich zur Wahl gestellt hatten, nicht gewählt. Und ein Manager wurde von seinem Team abgewählt. Es gab also einige Überraschungen. Ich selbst habe mich nach relativ kurzer Zeit ja schon zum zweiten Mal in einem Jahr der Wahl gestellt. Ich bin zwar erneut bestätigt worden, aber die Ergebnisse sind ein Stück weit anders ausgefallen als bei meiner ersten Wahl im Frühjahr, als ich 95 Prozent Zustimmung bekommen habe. Jetzt sprachen mir nur 80 Prozent der Mitarbeiter ihre volle Zustimmung aus. Einige haben mir auch ein kritisches Feedback auf den Wahlzettel geschrieben.
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Was haben Sie da zu lesen bekommen?Es gab ein paar Kommentare, die in die Richtung gingen, dass nicht immer ganz klar ist, was ich tue. Dass meine Strategien transparenter sein könnten. Daran will ich nun arbeiten.
Immerhin: Sie haben 80 Prozent Zustimmung erhalten. Was aber ist mit den Nicht- und Abgewählten im Unternehmen? Ist es für sie nicht schwierig, sich mit einem schlechten Wahlergebnis wieder ins Team zu integrieren?
Das ist sicher eine der größten Herausforderungen für uns alle. Wir wollen diejenigen, die nicht gewählt oder die abgewählt worden sind, jetzt mit aller Kraft in ihrer Rollenfindung unterstützen. Ob einer nach einem enttäuschenden Wahlausgang gut oder schlecht mit seinen Kollegen zusammenarbeiten kann, hängt aber auch davon ab, auf welche Art und Weise er im Zuge der Wahl Feedback bekommen hat. Es ist etwas anderes, zu hören 'Du machst einen Wahnsinnsjob, aber ich glaube, Führung ist nicht dein Ding, deshalb habe ich dich nicht gewählt' als zu hören 'Ich will dich nicht. Du wärst ein mieser Chef'. Wir glauben daher, wir müssen in Zukunft nicht zuletzt an unseren Feedback-Kompetenzen arbeiten. Aber natürlich ist die Situation für den Einzelnen auch mit wertschätzendem Feedback immer noch schwierig.
Welche positiven Effekte der Wahl haben Sie bislang feststellen können?Die Diskussionen der Teams über die Frage 'Was erwarten wir eigentlich von unserem Chef?' haben aus meiner Sicht viel Positives im Unternehmen ausgelöst. Viele Teams sind sich so zum Beispiel klarer darüber geworden, vor welchen Herausforderungen sie stehen, wo sie schon gut aufgestellt sind und worin sie noch besser werden müssen. Manche sind auch enger zusammengerückt. Solche Effekte freuen uns natürlich. Denn es geht uns bei der Chefwahl ja nicht nur um einen Selektionsprozess.
Sondern?Es geht uns vor allem darum, die Zusammenarbeit zu verbessern. Wir betrachten Führung als Dienstleistung am Team und nicht als Berufung. Die Mitarbeiter sind die Kunden der Führungskräfte. Und als solche können sie am besten beurteilen, ob sie mit der erbrachten Dienstleistung zufrieden sind oder nicht. Umgekehrt sind sie aber, wenn sie den Chef gewählt haben, in der Regel auch stärker darauf bedacht, dass der Chef gut funktioniert in seiner Rolle.
Was meinen Sie damit?Wenn ein Team jemanden aktiv in eine Cheffunktion hineingewählt hat, dann ist es eher daran interessiert, ihn zu unterstützen, als wenn ihm ein Vorgesetzter vor die Nase gesetzt wird. Das Commitment der Mitarbeiter zum Chef wird durch eine Wahl größer. Und es fällt ihnen in der Regel auch leichter, dem Chef ehrliches Feedback zu geben und ihm damit zu helfen, einen besseren Job zu machen.
Weil Feedback nach oben weniger gefährlich ist, wenn der Chef nicht mehr als Einziger die Macht hat? Erstens das. Und zweitens, weil alle im Zuge des Wahlprozesses ihre gegenseitigen Erwartungen geklärt haben. Jeder Mitarbeiter weiß, was er vom Chef erwarten kann – und was nicht.
Besteht nicht die Gefahr, dass die ein oder andere Führungskraft Dinge tut, die nicht gut sind für das Unternehmen, nur um sich im Team beliebt zu machen und tunlichst wiedergewählt zu werden?
Die Chefwahl macht eine Leistungskultur und ein Performance Management gewiss nicht obsolet. Wir haben an jede Person im Unternehmen unsere Erwartungen. Wir haben Leistungsparameter, die stimmen müssen. Und wenn sie nicht stimmen, warten wir natürlich nicht bis zur nächsten Wahl, sondern ergreifen vorher in Abstimmung mit den Teamkollegen Konsequenzen. Deshalb wird es solch einen Fall – hoffentlich – gar nicht erst geben. Und wenn doch, dann wird er relativ schnell auffliegen.