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Buch zur Biostruktur-Analyse: Fragwürdige Beweisführung

Die Persönlichkeit eines Menschen hängt davon ab, welcher Gehirnbereich sein Verhalten vornehmlich steuert. Auf diesem Postulat fußt die so genannte Biostruktur-Analyse des 1997 verstorbenen Anthropologen Rolf W. Schirm. Sein Buch über die biologischen Grundlagen der Methode ist kürzlich unter dem Titel 'Evolution der Persönlichkeit' in überarbeiteter Neuauflage erschienen und soll sie durch die Einarbeitung neuerer biologischer Erkenntnisse posthum wissenschaftlich untermauern.

Die Biostruktur-Analyse beruht auf dem Konzept des 'dreieinigen Gehirns' von Paul McLean, wonach der Mensch mit dem Stammhirn als Sitz der Instinkte, dem limbischen System als Zentrum der Gefühlsverarbeitung und dem Großhirn als Bereich der Kognition drei evolutionär unterschiedlich alte Gehirne besitzt. Schirm will festgestellt haben, dass sich über einen bestimmten Fragekatalog erkennen lässt, welches dieser Gehirne bei einer Person die Oberhand hat, d.h., ob sie insgesamt stärker durch Instinkte, Gefühle oder abstraktes Denken gesteuert ist. Im Training muss das dann berücksichtigt werden, weil laut Schirm niemand über seinen biologischen Schatten springen kann.

Die Crux an der Sache: Der Persönlichkeitstest mag sich in der Praxis durchaus bewährt haben, gibt es doch tatsächlich Menschen, die z.B. eher distanziert (Großhirn-Typ), kontaktfreudig (Stammhirn-Typ) oder wettbewerbsorientiert (Zwischenhirn-Typ) sind und dementsprechend in ähnlichen Situationen unterschiedlich reagieren. Der theoretische Hintergrund der Methode beruht allerdings auf einem biologischen Determinismus, der recht fragwürdig ist, zumal Schirm seine Untersuchungstechniken niemals vollständig offengelegt hat.

Jetzt jedoch greift Co-Autor Jürgen Schoemen in den Fundus der modernen Genforschung und Neurologie, um das Modell im Nachhinein auf sichere Füße zu stellen. Die aufgeführten Beispiele - z.B. der Hinweis darauf, dass das Zusammenspiel der chemischen Botenstoffe im Gehirn individuell unterschiedlich ausgeprägt und anlagebedingt ist - scheinen Schirms Modell auf den ersten Blick zu stützen. Wenngleich es zu denken gibt, dass sich das sonst sehr einfach geschriebene Buch in diesem Punkt in einer schwer verständlichen Fachsprache verliert. Wer will sich da schon die Mühe machen, einzelne Punkte auf ihren wissenschaftlichen Zusammenhang hin zu überprüfen?

Dabei reicht schon ein Blick in die moderne neurophysiologische Fachliteratur, um ein gewisses Misstrauen an der Beweisführung aufkommen zu lassen. Dort nämlich findet sich auch vieles, das Schirms These zuwider läuft: So weiß man heute z.B., dass alle Gehirnbereiche funktional und physiologisch aufs Engste miteinander verknüpft sind, von einer simplen Dreiteilung oder einseitig kognitiven, emotionalen oder instinktiven Verhaltenssteuerung also keine Rede sein kann. Weiterhin ist bekannt, dass auch Umwelteinflüsse (etwa Stressoren) auf das Gehirn einwirken, Verschaltungen von Neuronen beeinflussen und somit auf kognitive und emotionale Prozesse Einfluss haben. Über solche Erkenntnisse, die der 'Biologie ist Schicksal'-These zuwider laufen, schweigt sich das Structogramm-Buch jedoch wohlweislich aus. Wer aber nur Forschungsergebnisse aufzeigt, die ins Bild passen, und das auch noch bruchstückhaft, darf wohl kaum den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben.

'Evolution der Persönlichkeit' von Rolf W. Schirm und Jürgen Schoemen, 9. Aufl. 2002, 132 S. geb., 26,30 Euro.
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