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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Sandra Mareike Lang & Franz Hütter aus Training aktuell 02/24, Februar 2024
Das Hightech-Fieber der vergangenen Jahre erreichte mit der Welle an generativer KI 2023 einen vorläufigen Höhepunkt. Aufgeregt war die Stimmung, schwankend zwischen euphorischer Heilserwartung und dystopischer Untergangshysterie, begleitet von den Soap Operas rund um schrullige IT-Nerds und Tech-CEOs, die in den Medien zu Pop-Ikonen einer neuen Ära der Menschheitsgeschichte stilisiert wurden. Daneben tiefe und bedeutsame Diskussionen, zum Beispiel auf dem Economist-Kanal zwischen Yuval Noah Harari und dem Deepmind Co-Founder und heutigen Inflection CEO Mustafa Suleyman zu dessen Must-read-Buch „The Coming Wave“ über die Chancen und existenziellen Risiken der exponentiellen Innovation. Und 2024? Das neue Arbeitsjahr startete für uns mit einem Blog-Beitrag vom 4. Januar, in dem Microsoft ankündigte, für seine Copilot-KI eine eigene Taste auf der neuen PC-Tastatur reservieren zu wollen. Spannend!
Es scheint so, als wäre die KI in den Niederungen des Alltags angekommen. Denken wir an die in der Trainingsbranche hinlänglich bekannte Walt-Disney-Kreativitätsstrategie mit ihren Positionen „Träumer“, „Realist“ und „Kritiker“, so ist vielleicht ein gewisses Maß an langweiligem Pragmatismus gar nicht verkehrt, wenn es darum geht, eine Technologie aus der Phase der Träume (und Alpträume) in die Realität der Büros und Seminarräume zu holen und die daraus erwachsenden Anwendungsmöglichkeiten auf ihren Nutzwert hin kritisch zu hinterfragen. So sind die meisten technischen Neuerungen, die 2024 für uns als Trainerinnen, Coachs und Berater relevant sein dürften, schon vorhanden, harren aber derzeit noch der Weiterentwicklung zur Marktreife oder der großflächigen Verbreitung unter den Anwendenden. Gerade in der Umsetzung der vorhandenen Möglichkeiten, mit KI neuartige, interaktive Lernerfahrungen mit hohem USP-Faktor zu gestalten, liegen für Weiterbildungsunternehmen dieses Jahr große Marktchancen. Aufgrund der ungebrochenen Geschwindigkeit der Weiterentwicklung sind die entsprechenden „Windows of Opportunity“ jedoch nur kurz geöffnet. Es gilt daher für alle Akteure, zeitnah ins Handeln zu kommen.
Schließlich schickt sich die KI im Jahr 2024 an, sich fest in die Systeme fast aller Unternehmen weltweit einzunisten. Was wie das Narrativ vom Angriff der künstlichen Superintelligenz klingt, ist ein an sich sehr profaner, aber nicht minder folgenreicher Vorgang, der – unter anderem – in der erwähnten Copilot-Taste der neuen PC-Tastaturen seinen Niederschlag findet. Bislang begegnete uns die KI fast ausschließlich in Gestalt von webbasierten Anwendungen, die wir aufrufen konnten oder nicht, oder in Form von Smartphone-Apps, die wir installieren konnten oder nicht. Nun klinken sich GPT-4 von OpenAI sowie das Gemini-Sprachmodell von Deepmind nach und nach in die Textverarbeitungs-, Präsentations- und Tabellenkalkulationsprogramme ein, ohne die praktisch kein Unternehmen auskommt. Dass im Januar 2024 die vorläufige Mindestabnahmemenge von 300 Copilot-Lizenzen zu je 30$ pro Benutzer und Monat die standardmäßige Integration in die MS-Office-Pakete zunächst nur für größere Unternehmen erschwinglich macht, ist – wie Microsoft schon angedeutet hat – nur eine vorübergehende Einschränkung. Schließlich liefern sich Google und Microsoft ein beständiges Rennen um die Marktdurchdringung und können es sich gar nicht leisten, ihren Kunden die im Betrieb sehr kostspielige KI auf Dauer vorzuenthalten.
Blicken wir zum Beispiel auf den Funktionsumfang des Microsoft Copilot, so sehen wir, dass sich für uns und unsere Kunden durch die eingebaute KI viel verändert und dass sich Lernchancen direkt bei der Arbeit ergeben. Dass Word oder Outlook dank Copilot beim Schreiben von Texten relevante Wörter und Sätze vorschlagen, könnte eingefahrene Kommunikationsmuster durchbrechen und das sprachliche Repertoire des Durchschnittsnutzers um neue Ausdrucksmöglichkeiten erweitern. Die Möglichkeit, aus allen Office-Anwendungen heraus Informationen zu recherchieren, erleichtert den Faktencheck und erhöht potenziell den Informationsgehalt von Texten. Natürlich übersetzt Copilot auch jeden Text per Mausklick in fast beliebige Sprachen, analysiert Daten in Excel-Tabellen und erstellt dazu passende Diagramme, erzeugt Präsentationen aus Prompts und hilft, zum Beispiel durch Rückgriff auf die bisherige Korrespondenz, bei der Beantwortung von E-Mails. Schließlich erleichtert er noch die Organisation, indem er auf Basis all dieser Daten relevante Termine vorschlägt.
Kaum ein Unternehmen wird auf die hierdurch erzielbaren Effizienzgewinne verzichten können. Allerdings bietet die KI hier wie immer nur die Infrastruktur. Die Anwendung im Arbeitsalltag und mehr noch die Fähigkeit, potenzielle Lernerfahrungen auch tatsächlich umzusetzen, erfordert einen hohen anfänglichen Trainingsaufwand und kontinuierliche Begleitung durch Lern- und Entwicklungsprofis. Gerade die sich abzeichnenden massiven Veränderungen der Arbeitswelt durch die KI lassen die Rolle von Training, Coaching und Beratung perspektivisch immer wichtiger werden, vorausgesetzt, wir sind als Weiterbildende offen dafür, diese Entwicklungen aufzugreifen und dezidiert in unsere didaktischen Konzepte zu integrieren.
Dabei profitieren wir selbst von der zunehmenden Multimodalität der führenden KI-Systeme wie ChatGPT und Google Bard. Anfänglich als reine Text-KIs entwickelt, gewinnen die beliebten Chatbots laufend „Sinneskanäle“ hinzu. Insbesondere Gemini, das neueste Sprachmodell von Google/Deepmind, auf das Google Bard zugreift, übertrifft durch seine native Fähigkeit, Text-, Bild-, Audio- und Videodaten nahtlos zu verarbeiten, das GPT-4-Modell von OpenAI inzwischen in etlichen Benchmark-Tests. Es bleibt abzuwarten, ob OpenAI noch 2024 mit GPT-5 kontert. Dass die Entwicklung von GPT-5 begonnen hat, wurde von OpenAI jedenfalls bereits bestätigt. Dabei lässt sich auch die Tendenz beobachten, dass Funktionen, die zuvor in unterschiedlichen KI-Tools abgebildet waren, durch Integrationen oder Plug-ins auf den großen KI-Plattformen – darunter auch die Web-Version des Microsoft Copilot – gebündelt werden.
Brauchen Sie z.B. einen passenden Song für eine Kick-off-Veranstaltung, für Ihr Institut oder ein Weiterbildungsangebot? Statt eine Agentur zu beauftragen oder einen Dienst mit einer Kompositions-KI zu suchen, können Sie einfach den Web-Copilot nutzen, der durch die Integration der Musik-KI Suno.ai die Komposition eines Musikstücks per Texteingabe ermöglicht. Welche Ihrer didaktischen Heldentaten besungen werden sollen und ob diese als Schlagermelodie, Country-Song oder im Death-Metal-Stil vorzutragen sind, entscheidet alleine Ihr Geschmack und Ihr möglichst präzise formulierter Prompt.
Ein anderes Beispiel für die Integration multimodaler Fähigkeiten ist die Einführung der Bildverarbeitung und Bilderzeugung in die Chatbots. So können zum Beispiel ChatGPT und Google Bard Bilder analysieren, die man hochlädt oder einfach per Copy und Paste ins Chat-Fenster kopiert. Das ist besonders nützlich, wenn man schnell einen Beschreibungstext für eine Grafik oder ein Foto generieren möchte – oder (als Alltags-Hack am Rande) wenn man die Mathe-Hausaufgaben des Nachwuchses mit dem Handy fotografiert, um sich von der KI erläutern zu lassen, was hier verlangt wird und welche Lösungswege es gibt. Für solche Fälle ersparen einem die entsprechenden Smartphone-Apps wie die von ChatGPT noch dazu die Notwendigkeit, Fotos erst auf den Rechner zu übertragen. Durch die Interoperabilität der Systeme stehen die Ergebnisse gleichermaßen auf dem Smartphone und im Browser des eigenen Rechners zur Verfügung.
Neben der Bildverarbeitung können etwa ChatGPT und Copilot mithilfe der integrierten Text-to-Image-KI DALL-E selbst Bilder generieren. Mit ein wenig Übung im Prompting entstehen so – auch ohne Rückgriff auf die Flaggschiffe unter den Bild-KIs wie Midjourney oder Adobe Firefly – sehr ansprechende Illustrationen für Slides oder Seminarunterlagen. Und das sogar mit der gewünschten Farbgebung, im richtigen Seitenverhältnis und im gewünschten Stil. Wer erlernen will, wie das geht, fragt jemanden, der sich damit auskennt oder einfach gleich ChatGPT selbst, zum Beispiel mit dem Prompt: „Wenn du mir mit DALL-E ein Bild generierst, welche künstlerischen Stile kann ich in meinem Prompt angeben?“
Die zunehmende Multimodalität von KI führt zur Demokratisierung der Möglichkeit, ansprechende multimediale Inhalte zu erstellen. Musste man es sich früher noch leisten können, professionelles Grafikdesign und Videoproduktion einzukaufen, so lassen sich ansprechende multimediale Lernerfahrungen dank KI auch von kleinen Anbietern und Einzelunternehmerinnen fast kostenneutral gestalten. Zeitgleich verkürzt sich die Time-to-Market bei der Entwicklung von Online-Kursen im E-Learning und bei der Gestaltung von Lernplattformen für einen Flipped Classroom. Aufgrund des weiterwachsenden Angebotsvolumens werden hier perspektivisch allerdings auch die Anforderungen an Qualität und Interaktivität der Angebote weiter steigen. Während die berüchtigte PDF-Sammlung auf der Lernplattform weiter an Marktfähigkeit verliert, werden eine lernfördernde grafische Aufbereitung, gute Lehrvideos, Quizfragen und Challenges immer mehr von der Besonderheit zur methodischen Grundausstattung. Hierbei werden uns die Weiterentwicklungen der Text-to-Image-KIs und Text-to-Video-KIs im Jahr 2024 besonders zugutekommen.
Für all jene, die im Training bereits mit Extended Reality arbeiten, bricht in diesem Jahr eine interessante Epoche an: Die Zeit des User Generated Content im Metaverse hat begonnen. Dies äußert sich vorrangig in der Leichtigkeit, mit der 3-D-Objekte ohne jegliche Programmierkenntnisse einfach per Prompt erzeugt werden können. Text-to-3-D-Generatoren wie Genie von Luma.ai erlauben es, dreidimensionale Gegenstände und Objekte ebenso schnell und einfach zu generieren wie ein 2-D-Bild in Midjourney. Die Objekte sind rotierbar, können also von allen Seiten betrachtet werden, und machen bereits über den Web-Browser einen plastischen Eindruck. Lädt man sie zum Beispiel auf eine Kollaborationsplattform in der virtuellen Realität (VR), so kann man die eigenen virtuellen Lernwelten künftig mit selbst erzeugten 3-D-Objekten und -Figuren – vom Gehirn für das Mnemotechnik-Seminar bis zur Kriegerin für die Heldenreise – jeweils individuell gestalten. Das reduziert die Abhängigkeit von den Plattformentwicklern und ist ein weiterer Schritt in Richtung einer Verschmelzung des Metaverse als dreidimensionales Internet und der Künstlichen Intelligenz.
Wenngleich wir uns noch über das Jahr 2024 hinaus gedulden werden müssen, bis in VR eine Landschaft oder ein intelligenter Avatar einfach durch einen gesprochenen Prompt aus dem Nichts heraus erscheint, dürfte sich hierfür der von Rev Lebaredian (Vice President für die Omniverse-Technologie bei NVIDIA) prognostizierte Maximalzeitraum von zehn Jahren mindestens halbieren. Durch den großen Anklang des META Quest 3 Headsets mit Mixed Reality und den bevorstehenden Launch der Apple Vision Pro (vermutlich im ersten Quartal 2024) lohnt es sich heute mehr denn je, in Sachen Extended Reality im Training Kompetenzen aufzubauen.
Auch in der vierten Dimension, nämlich auf der Zeitachse, entwickelt sich die Bilder-KI weiter. So braucht es keine Glaskugel, um vorherzusagen, dass 2024 auch das Jahr der Text-to-Video-KIs wird. Midjourney steht als einer der Branchenführer seit Dezember 2023 mit einer funktionierenden Beta-Version in den Startlöchern und auch andere Platzhirsche wie Google haben entsprechende Ankündigungen gemacht. Google Bard, bei dem es zum Redaktionsschluss für diesen Beitrag noch mit der Video-Ausgabe haperte, schlug auf unsere Anfrage nach einem Waldlauf-Video zum Thema „Neujahrs-Vorsätze“ ein sehr kreatives Skript vor: „(Intro) In einem tiefen, dunklen Wald. Ein Mann auf der Suche nach ETWAS. (Hauptteil) Er läuft schnell und entschlossen. Er ist in Gedanken versunken. (Outro) Was er sucht, weiß er nicht. Aber er wird es finden.“ Sobald diese Szene von der Absurdität unserer hektisch-gedankenverlorenen Suche nach „irgendetwas“ zum Download bereitsteht, könnte sie so manches Seminar zu den Themen Workaholismus, Zielplanung und Resilienz um eine humorvolle, wachrüttelnde Message bereichern. Wie bei den Text-to-Image-KIs sind auch bei den KI-generierten Kurzvideos unserer Fantasie bald keine Grenzen mehr gesetzt. So wird es 2024 wohl jede Menge individuell auf unsere Zielgruppen abgestimmte, kreative Videos geben, die Vorträge, Präsentationen und das Online-Lernen um einige Aha-Effekte ergänzen könnten.
Eine weitere spannende Option, um längere Texte – insbesondere Blog-Beiträge oder Zeitschriften-Artikel schnell in ansprechende Videos zu konvertieren, bieten KI-basierte Dienste wie inVideo oder Lumen5. Je nach Anbieter und gewähltem Paket können solche Apps Texte auf Wunsch auf Filmlänge kürzen, zu den bearbeiteten Texten passende Stockfotos suchen, dazu ein Voiceover mit einer sympathischen KI-Stimme produzieren und die Präsentation schließlich noch mit Begleitmusik unterlegen. All dies dauert bis zur Rohfassung kaum länger als ein paar Minuten. Gerade wenn es darum geht, einen Artikel oder Blog-Beitrag in den sozialen Medien zu bewerben, können solche Dienste schnell ansprechende Kurzfilme erzeugen – und das komplett auf Basis des eigenen Textes. Auch hier dürfte die Intelligenz solcher Systeme in Hinblick auf Kontexterkennung im Laufe des Jahres weiter zunehmen. Während das Stichwort „Training“ in einem Eingabe-Text noch bis vor Kurzem dazu geführt hat, dass Bilder mit Hanteln stemmenden Muskelprotzen in die Videos eingefügt wurden, werden solche Kontextfehler immer seltener. Der Überarbeitungsaufwand, um die Videos publikationsreif zu machen, sinkt entsprechend.
Während damit das Content Marketing um eine weitere Option zur Herstellung von Aufmerksamkeit reicher wird, könnte die Flut an tönendem, quatschendem Multimedia-Material mit Bildwechseln im Sekundentakt weiter zunehmen. Dies verkürzt bei den Rezipienten die Aufmerksamkeitsspanne und führt zu einem motivational ungünstigen „Instant Gratification“-Effekt: Entweder etwas entfaltet unmittelbare Belohnungswirkung oder es wird sofort ignoriert. Das ist schlecht für alle Aufgaben, die Ausdauer und Konzentration erfordern. Umso wichtiger wird es in Zukunft, dass wir mit unseren Teilnehmenden explizit die Fähigkeit trainieren, sich über längere Zeit auf relativ reizarmen Content wie Texte oder zwischenmenschliche Gespräche zu fokussieren und beim Medienkonsum wie bei der Arbeit wieder Bedürfnisaufschub zu lernen.
Eine andere Art der Umsetzung von Text in Videos bieten KI-Plattformen wie Synthesia oder HeyGen. Sie erlauben es uns, jeden Text von professionell erstellten Avataren mit immer natürlicher klingenden KI-Stimmen vortragen zu lassen. So fällt es leicht, unter anderem die Lehrfilme auf einer Kursplattform von mehreren unterschiedlichen Charakteren sprechen zu lassen. Das schafft Abwechslung und erhöht die Diversität, gerade, wenn sich das Training an Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen richtet. Dabei ist natürlich auch die Mehrsprachigkeit kein Thema mehr. So lassen sich die Lehrvideos mit wenigen Klicks in Dutzende Sprachversionen klonen, wobei die Mundbewegungen des Avatars an die jeweilige Sprache angepasst werden. Bevorzugt man im Sinne der Personenmarke doch eher das eigene Konterfei und Timbre, so kann man einen solchen Avatar auch von sich selbst erstellen lassen. Dabei kann man zwischen unterschiedlichen Qualitätsstufen wählen – beginnend mit Instant-Avataren, die in wenigen Minuten aus Fotos berechnet werden, bis hin zu Studio-Avataren, für die man gegen einen satten Aufpreis mit Profi-Equipment dreidimensional eingescannt wird.
Außerdem ist die Technologie des Voice Cloning inzwischen so weit vorangeschritten, dass man das digitale Abbild der eigenen Stimme kaum noch von dem eines tatsächlich aufgenommenen Videos unterscheiden kann. Bei Bedarf spricht man dann selbst in fast allen Zungen des Erdkreises und kann jedes einmal verfasste Texterzeugnis in Videos umsetzen.
Gerade für diejenigen unter uns, die viele Texte produzieren, aber nicht die Zeit oder die Lust haben, andauernd selbst Videos zu drehen, bietet diese Möglichkeit der Video-Erstellung durchaus Vorteile. Dabei lohnt es sich auf jeden Fall, Sachtexte – zum Beispiel von ChatGPT – noch einmal in einen mündlichen Stil umschreiben zu lassen. Schließlich wirkt, KI hin oder her, nichts so hölzern wie das Vorlesen eines schriftsprachlichen Textes in einem Video. Es versteht sich von selbst, dass man das Passwort für solche Anwendungen besonders sorgsam verwahren sollte, könnte doch ein unbefugter Eindringling einen damit so gut wie alles sagen lassen. Außerdem dürfte es im Sinne einer authentischen Kommunikation sowohl für das Zielpublikum als auch für die Sprechenden befriedigender sein, wenn Videos zumindest mehrheitlich noch von realen Personen aufgenommen werden.
Wie die Entwicklungen im Bereich der Bild- und Video-KIs zeigen, kann uns die Künstliche Intelligenz die Produktion von Präsentations- und Lehrmaterial deutlich erleichtern. Doch das ist nur der kleinere Teil des Mehrwerts, den wir mit KI künftig in der Weiterbildung schaffen können. Noch größeres Potenzial liegt in der Nutzung der KI-Bots als virtuelle Übungs-, Reflexions- oder Sparringspartner für unsere Teilnehmerinnen und Klienten und als Trainingsassistenz mit fast unbegrenzt breit gefächertem Wissen in beinahe beliebiger fachlicher Tiefe für uns selbst.
Ein kleiner Schritt in der technischen Entwicklung, aber ein großer Schritt für die Einsetzbarkeit der KI in diesem Sinne war die Tatsache, dass die meisten KI-Tools inzwischen hören und sprechen gelernt haben. So lassen sich etwa alle Anfragen an ChatGPT sowohl schriftlich als auch mündlich über Browser oder Smartphone App absetzen und auch die Antwort gibt es jetzt mit einer Stimme der eigenen Wahl direkt auf die Ohren. Dass wir dabei zum Beispiel auch um eine Antwort auf Englisch, Arabisch oder Mandarin bitten können, erleichtert die Verständigung im internationalen Umfeld enorm.
Sowohl die Transkripte der Nutzer-Anfragen als auch die Antworten des Bots stehen auf allen Geräten in der jeweils gewählten Input- und Output-Sprache in der Chat-Historie zur Verfügung. Im Vergleich zu einem zwischenmenschlichen Dialog sind dabei die Latenzzeiten immer noch höher. Dies dürfte sich allerdings im Laufe des Jahres durch die Einführung von Turbo-Varianten und schlankeren Sprachmodellen wie Gemini Nano, die direkt auf den Endgeräten lauffähig sind, weiter verbessern. Damit werden immer realistischere Gesprächssituationen zwischen Mensch und Chatbot möglich, was ein breites Feld an Optionen für die Gestaltung von Lern- und Entwicklungsprozessen eröffnet, die wir als Trainerinnen und Coachs aktiv nutzen lernen sollten.
Wer aber bringt heute, etwa im Führungskräfteseminar, seinen Teilnehmenden bei, sich im Gespräch mit dem Bot des Vertrauens auf die Schnelle Feedback zur Verständlichkeit einer Aussage, zu den Vor- und Nachteilen von Entscheidungsalternativen oder zu den möglichen emotionalen Auswirkungen eines geplanten Mitarbeiter-Feedbacks zu holen? Wer nutzt solche Mensch-Maschine-Gespräche in der Personalentwicklung als Übungsmöglichkeit zwischen den Seminareinheiten oder integriert sie als Lernerfahrungen in seine Kursplattformen? Kaum ein Akteur auf dem Weiterbildungsmarkt setzt diese Chancen heute schon konsequent in Trainingskonzepte um. Dabei ergeben sich gerade in diesem Bereich große Nutzenpotenziale für unsere Kunden und große Marktchancen für uns als Weiterbildende.
Was KI als Gesprächspartner leisten kann, zeigt die Konversations-KI Pi (für „Personal“ und „Intelligence“) von Inflection AI, dem Unternehmen des erwähnten Deepmind-Mitbegründers Mustafa Suleyman. Pi ist zugleich ein anschauliches Beispiel für den Spezialisierungs-Trend in der KI-Landschaft. Während wenige Allzweck-KI-Modelle wie ChatGPT oder das jüngst veröffentlichte Modell Gemini von Google/Deepmind dafür konstruiert sind, vom Texten über die Inhaltsrecherche bis hin zur Datenanalyse und dem Schreiben von Source Code als eierlegende Wollmilchsäue zu fungieren, wächst die Bedeutung von KI-Systemen, die besondere Perfektion in einem bestimmten Kompetenzfeld erreichen.
Im Falle von Pi mit seinem zugrunde liegenden Sprachmodell Inflection-1 ist es die emotional intelligente Gesprächsführung. Auf der Website von Pi gibt es eigene Gesprächsmodi für eine große Anzahl an Gesprächsanlässen. Egal, ob man einfach „Dampf ablassen“, etwas Neues lernen, Ideen brainstormen, Bücher diskutieren, in die Ruhe kommen, ein wichtiges Gespräch trainieren oder das Für und Wider einer Entscheidung abwägen möchte – es findet sich für fast jedes Anliegen ein eigener Modus, darunter auch für ein „Coach Me Through a Problem“-Gespräch. Die hohe Kontextsensitivität des Inflection-1-Sprachmodells und die im Vergleich zu den manchmal noch generischen ChatGPT-Outputs sehr persönlich wirkenden, direkt auf die Nutzereingabe bezogenen Antworten von Pi machen das Modell gerade dann wertvoll, wenn es um persönliche Gesprächs- und Reflexionsanlässe geht. Selbstverständlich liegt auch Pi als Smartphone App vor, sodass eine direkte mündliche Unterhaltung möglich ist. Für den Einsatz im Alltag ist dies unabdinglich, denn die umständliche Verschriftlichung eines Anliegens ist – so klärend und erkenntnisreich sie auch oft wäre – für viele unserer Teilnehmenden in der Hektik des Alltags einfach eine zu große Hürde.
Auch ChatGPT eignet sich durchaus für solche Gespräche, wenn User ein wenig Erfahrung mit dem Prompting haben. Wir selbst nutzen es allerdings eher als Assistent für das Training. Besonders hilfreich ist dabei die im November 2023 in die kostenpflichtige Plus-Version integrierte Möglichkeit, eigene, kundenspezifische GPTs zu erschaffen. Damit lässt sich etwa das komplette Wissen aus einem Seminar oder einer Trainer- bzw. Coachausbildung in einen eigenen ChatBot packen, der Teilnehmenden ihre Fragen ausbildungsspezifisch und fachlich fundiert beantwortet. Außerdem können fast alle gesprächsbasierten Workshop-Übungen vom zwischenmenschlichen Dialog in die Mensch-Maschine-Kommunikation übertragen werden, was es Teilnehmenden sehr erleichtern kann, außerhalb der formellen Lernsettings weiter zu üben.
So ist einer der Demo-Bots, die OpenAI selbst veröffentlicht hat, ein „Negotiator“, mit dem Nutzer im Rahmen des Harvard-Konzepts der sachgerechten Verhandlung Positionen nach zugrunde liegenden Interessen hinterfragen oder ihre BATNAs (Best Alternatives to Negotiated Agreement) erkunden können. Solche Bots lassen sich in der Plus-Version von ChatGPT im Explore-Menü (deutsche Oberfläche: „Erkunden“) mit der Option „Create a GPT“ leicht selbst erstellen. Grundlage ist – wie im normalen Chat-Fenster – ein Prompt, den man im Reiter „Create“ eingibt. Hier definiert man, was der Bot machen soll, zum Beispiel Teilnehmerfragen auf Basis von hochgeladenen Wissensdaten beantworten, einen Dialog führen, wie er bei einer Gehaltsverhandlung üblich ist, nach dem Schema des Johari-Fensters durch Fragen mögliche blinde Flecken offenlegen, User dabei unterstützen, ein wirksames und beziehungserhaltendes Feedback zu geben oder ein konfliktäres Anliegen nach dem Schema der Gewaltfreien Kommunikation vorzubringen. Dabei ist es – ebenfalls wie beim normalen Prompting – entscheidend, so spezifisch wie möglich wichtige Elemente und Gesprächsphasen des erwünschten Bot-Verhaltens zu definieren sowie Lernziele, Zielgruppe, Skill-Level der User und die gewünschte Tonalität möglichst exakt zu benennen. Im Reiter „Configure“ lassen sich dann unter anderem die eigenen Wissensbausteine, also Seminarskripts, transkribierte Videos etc., hochladen. Außerdem lässt sich definieren, ob der eigene Bot Internet-Zugriff erhalten, Bilder erzeugen oder Daten analysieren können soll.
Gute Erfahrungen haben wir neben den Teilnehmer-Service-Bots für Ausbildungen mit selbst gebauten Bots zum Training von kognitiven Skills gemacht, die wir mit hübschen Fantasienamen getauft haben. Dazu gehört ein „Lateralizer Bot“, der User durch Fragen zur Lösung von Black-Story-Rätseln führt, ein „Critical Thinker Bot“, durch den Kunden lernen können, steile Behauptungen kritisch zu hinterfragen und ein „Foresight Bot“, der dazu anregt, den eigenen Möglichkeitssinn zu schärfen und alternative Zukunftsszenarien zu entwickeln. Die selbst gebastelten Bots können auch ausschließlich im Eigengebrauch eingesetzt werden. Dies empfiehlt sich immer in der Entwicklungsphase, in der das Produkt bisher nicht getestet ist. Obendrein könnten GPTs wie etwa ein Bot zur schnellen Erstellung ansprechender Seminarbeschreibungen nur intern von Interesse sein. Alternativ lassen sich die Bots per Link mit beliebigen Personen teilen. Allerdings müssen diese auch über einen ChatGPT Plus Account bei OpenAI verfügen, um den Bot aufrufen zu können. Eine professionellere Lösung, für die die meisten von uns Hilfe von einer ITlerin benötigen dürften, besteht darin, von der eigenen Lernplattform einen GPT-Zugriff per API (Application Programming Interface) zu ermöglichen.
Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, eigene Bots der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und über den OpenAI Store zu kommerzialisieren. Dies könnte der Startschuss für den Eintritt von Edubots als ernst zu nehmende Produktkategorie des Weiterbildungsmarktes sein. Um hier mitzumischen, braucht es fast keine technischen Kenntnisse – es braucht nur unsere Kernkompetenz, Lernprozesse präzise beschreiben zu können. Es wäre wünschenswert, dass wir mit unserer Expertise als Trainerinnen und Coachs auf diesem Markt präsent wären, denn KI dürfte zu einem der wichtigsten Bildungsmedien der Zukunft werden. Wir sollten sie mitgestalten und in unsere Trainingsdesigns und Coachingkonzepte integrieren.
Ein oft zu hörendes Argument gegen den Einsatz von KI im Training und Coaching gilt dabei nicht mehr flächendeckend und vermutlich auch nur noch für begrenzte Zeit: „Meine Kunden wollen das nicht.“ Dass ein Teil der Wirtschaft dies längst will und zunehmend auch einfordern wird, zeigt ein Anfang Januar 2024 erschienener Beitrag aus dem Handelsblatt mit dem Titel „So erstellen Sie mit ChatGPT Ihren persönlichen Coach“. Hier erklärt Sebastian Hennes, Leiter des Handelsblatt Management Campus, mit welchen Prompts sich ChatGPT als Sparringspartner für unterschiedliche Coaching- oder Beratungsanlässe wie Führungscoaching, Innovationsmanagement oder Fragen zur Unternehmensstrategie nutzen lässt. Zudem wird erklärt, wie man allzu generische Antworten vom Bot nachschärfen lässt und wie man zwischen unterschiedlichen Beratungsstilen, etwa einem eher analytisch-distanzierten und pragmatisch-direktiven oder einem unkonventionellen und eher risikoaversen Stil umschaltet. Dass hier Coaching, Prozessberatung und Fachberatung nicht wirklich auseinandergehalten werden, ist für die Kernaussage des Beitrags unerheblich. Ähnlich wie die bereits im Sommer 2023 veröffentlichte McKinsey-Studie („The Economic Potential of Generative AI“), die ein 54-prozentiges Automatisierungspotenzial im Bereich „Educator and Workforce Training“ durch generative KI feststellt, sollte er uns als Weiterbildenden klarmachen, dass unsere Auftraggeber in zunehmendem Maße von der zumindest partiellen Ersetzbarkeit unserer traditionellen Leistungen durch KI ausgehen.
Es liegt nun an uns, Experten und Expertinnen für die Nutzung der KI im Training und Coaching zu werden und den Entscheidern durch überzeugende KI-basierte Trainings- und Coachingkonzepte deutlich zu machen, dass es für die Personalentwicklung oder einen komplexen Coachingprozess eben mehr benötigt als ein paar Prompts oder eine Internetseite mit einem virtuellen Coach. Eingebunden in ein didaktisches und methodisches Gesamtkonzept ermöglicht die KI nämlich Mehrwerte für Lern- und Entwicklungsvorhaben, auf die Auftraggeber auf Dauer nicht mehr verzichten werden. Schließlich steht die KI das ganze Jahr über rund um die Uhr zur Verfügung und kann genau dann befragt werden, wenn ein entsprechender Informations- oder Handlungsbedarf besteht. Da Neuroplastizität als biologische Grundvoraussetzung des Lernens sowohl durch die so ermöglichte hohe Frequenz der Lernimpulse als auch durch die emotionale Relevanz im Moment of Need verstärkt wird, kann sowohl die Lerngeschwindigkeit als auch die Nachhaltigkeit des Lernens gegenüber dem alten Lernen auf Vorrat in räumlich und zeitlich vom Anwendungskontext isolierten Inselsituationen deutlich gesteigert werden.
Lassen wir uns auf die KI als selbstverständlichen Bestandteil unseres methodischen Repertoires ein, so können wir leichter aus der klassischen Trainer-Rolle in das Rollenspektrum von Trend-Scouts, Facilitators und Gestaltern von Lern-Ökosystemen hineinwachsen, in denen Lernen vor allem on the Job stattfinden wird. Immerhin bietet die KI bislang ungeahnte Möglichkeiten für das selbstorganisierte Lernen. Die professionelle Begleitung eines so musterbrechenden Ordnungsübergangs in den betrieblichen Bildungssystemen bedeutet für uns als Lern- und Entwicklungsprofis eher mehr als weniger Arbeit und – wenn wir an die sich neu entwickelnde Arbeitswelt im KI-Zeitalter anschlussfähig bleiben – eine sicherere Existenzberechtigung als je zuvor.
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