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Trendforscher Sven Gábor Jánszky über Innovation

'Unternehmen müssen auf den Wertewandel reagieren'

Der Trendforscher Sven Gábor Jánszky kritisiert in seinem Buch 'Die Neuvermessung der Werte': Viele Firmen sind blind für neue Kundenbedürfnisse. Im Interview mit managerSeminare spricht er über die Ursache: Zahlreiche Firmen ignorieren, dass in der Gesellschaft ein Wertewandel stattfindet.

Herr Janszky, mit Ihrem Buch 'Die Neuvermessung der Werte' reden Sie Führungskräften ins Gewissen, die über den Werteverfall in der Gesellschaft klagen. Was stört Sie daran?

Sven Gábor Jánszky: Die Führungskräfte tun sich mit ihren Klagen selbst keinen Gefallen. Denn es gibt keinen Werteverfall in der Gesellschaft, zumindest nicht im Hinblick auf die Werte, die Unternehmen in ihre Leitbilder schreiben: Kundenorientierung und Nähe, Innovation und Dynamik, Offenheit und Transparenz, Freiheit, Sicherheit und Wachstum. Was es dagegen gibt, ist ein Wandel dieser Werte. Das heißt: Der Wert bleibt derselbe, nur der Inhalt ändert sich.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Menschen wollen nach wie vor Nähe empfinden. Aber sie haben für Nähe andere Maßstäbe als noch vor Jahren. Es gehört beispielsweise seit Langem zum Selbstverständnis von Sparkassen, nah am Kunden zu sein. Daraus wurde bisher immer der Schluss gezogen, Filialen in Kundennähe zu eröffnen. Nähe wurde also räumlich definiert und in Form von Metern gemessen. Allerdings ergibt sich das Gefühl von Nähe bei vielen Menschen heute aus anderen Parametern. Der neue Maßstab, der darüber entscheidet, ob Nähe empfunden wird oder nicht, ist die Anzahl und Qualität von Interaktionen. Je digitaler die Welt wird, desto mehr gewinnt diese sogenannte relationale Nähe gegenüber der physikalischen Nähe an Bedeutung. Wer diesen inhaltlichen Wandel des Wertes Nähe verkennt, spricht seine Kunden mit den falschen Maßnahmen an.

Und flüchtet sich in die Erklärung mit dem allgemeinen Werteverfall?

So ist es. Ich beobachte das häufig bei Managern. Ein weiteres Beispiel ist übrigens der Wert Vertrauen: Natürlich ist es heute nicht weniger wichtig als früher, beim Kunden Vertrauen aufzubauen. Aber viele Unternehmen hängen noch der alten Vorstellung an, dass Vertrauen hauptsächlich über direkten Kontakt und Emotionen aufgebaut wird. Genau das verändert sich aber. Denn was ist Vertrauen? Das Ergebnis von erfüllten Erwartungen. Zum Beispiel der Erwartung, eine gute Antwort auf eine Frage zu bekommen. Und diese Antworten finden Kunden heute immer häufiger im Internet, statt bei ihrem persönlichen Kundenberater.

Was raten Sie Führungskräften also?

Sie müssen sich klarmachen, dass die Maßstäbe, nach denen sie selbst beurteilen, ob ein Wert wie Nähe oder Vertrauen erfüllt ist oder nicht, unter Umständen nicht mit den Maßstäben übereinstimmen, die die Kunden anlegen. Für sie bemisst sich die Werterfüllung an anderen Parametern. Wichtig wäre daher, im Unternehmen über alle Ebenen und Generationen hinweg eine Wertediskussion zu führen: Woran bemisst sich ein bestimmter Wert heutzutage? Worauf wollen wir uns einigen? Was wollen wir zur neuen Grundlage unserer Maßnahmen machen? Was wollen wir dementsprechend messen? Einzugsbereiche von Filialen in Metern oder die Zahl der Kundeninteraktionen pro Woche?

In Ihrem Buch raten Sie Unternehmen, bei den geringsten sich abzeichnenden Werteveränderungen ihr eigenes Wertegerüst anzugreifen. Macht das Werte nicht zu etwas Beliebigem, das man sich nach Lust und Laune zurechtbiegt, je nachdem, woher der Wind scheinbar weht?

Die Gefahr ist da, das stimmt. Aber trotzdem gilt: Wer heute so lange wartet, bis er sich über irgendeine Sache völlig sicher ist, der ist meist schon zu spät dran. Andere haben das Geschäft dann schon gemacht. Was also tun? Mein Rat ist, nach Versuch und Irrtum vorzugehen. Das klappt natürlich nur, wenn ein Unternehmen nicht mehr wie ein großer ungelenker Tanker geführt wird. Verändert man unter solchen Umständen Werte, leitet entsprechende Maßnahmen daraus ab und hat irgendetwas falsch eingeschätzt, wird es gefährlich. Man braucht stattdessen eine Flotte. Mit dem großen Schiff, das erst mal auf dem alten Kurs weiterfährt, auch wenn dort die Umsätze sinken, und mit vielen kleinen Schiffen, die neue Routen ausprobieren und das eigene alte Geschäftsmodell angreifen. Haben sie Erfolg, ist es gut so, weil sie zur eigenen Flotte gehören, scheitern sie, halten sich die Kosten in Grenzen.

Also bräuchten viele Unternehmen erst mal einen Organisationswandel, bevor sie angemessen auf den Wertewandel in der Gesellschaft reagieren können?


Genau das ist der Fall.

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