Die Finanzmanager stehen sich pärchenweise gegenüber und lächeln einander verlegen an. 'Loben Sie Ihren Kollegen für drei Dinge, die er geleistet hat und für die sie ihn schätzen', lautet die Aufgabenstellung, mit der die Leiterin des Feedback-Workshops, Heidrun Vössing, ihre Teilnehmer aus dem Konzept gebracht hat. 'Diese Reaktion ist typisch', sagt die Trainerin vom Institut für Management-Entwicklung (IME) in Bielefeld. 'Man könnte denken, dass Loben etwas Unanständiges ist. Ungewohnt ist es auf jeden Fall.'
Eine Beobachtung, die sich verallgemeinern lässt. Anscheinend geht vielen Führungskräften ein Lob nur selten über die Lippen. In einer groß angelegten Studie, für die das Wissenschaftliche Institut des Krankenversicherers AOK 28.000 Beschäftigte aus 147 Unternehmen befragt hat, gaben 55 Prozent an, von ihrem Vorgesetzten nie oder nur selten gelobt zu werden. Das aktuelle Ergebnis passt sich ins Bild, das Untersuchungen seit Jahren zeichnen: die deutsche Unternehmenswelt zwar nicht als lobleerer, aber zumindest als lobarmer Raum.
Eigentlich merkwürdig, denn immerhin gilt die Anerkennung von Leistungen durch sprachliche oder körpersprachliche Ausdrucksmittel – so die fachlich korrekte Definition des Lobs – in der modernen Führungslehre als eines der wichtigsten Instrumente überhaupt: Kaum ein Führungsratgeber, der nicht die Bedeutung persönlicher Anerkennung betont, kaum ein Managementprofessor, der das Lob nicht preist. Wahrscheinlich gibt es kein Führungsinstrument, bei dem die Kluft zwischen Theorie und Praxis, zwischen zugeschriebener Bedeutung und tatsächlicher Anwendung so groß ist wie beim Lob. Wie kommt es zu dieser Loblücke?
Extras:- Von Aufrichtigkeit bis Spitzenleistung: Die fünf Regeln des konstruktiven Lobens
- Literaturtipps: Kurzrezension eines Buchs über Motivation und Hinweis auf einen Fachartikel über Selbstmotivation